An Friedrich Nietzsche

[132] Und es kam die Zeit,

daß Zarathustra abermals

aus seiner Höhle niederstieg vom Berge;

und viel Volkes küßte seine Spuren ...

Der Jünger aber, der ihn liebte,

stand von ferne,

und der Meister kannte ihn nicht.

Und der Jünger trat zu ihm und sprach:

Meister, was soll ich thun,

daß ich selig werde? –

Zarathustra aber wandte sich

und schaute hinter sich,

und seine Augen wurden weit,

und sagte Antwort:

Folge mir nach! –

Da ward der Jünger sehend

und verstand den Meister

und folgte ihm

und verließ ihn ...

Da er aber seines Weges wanderte,

ward er traurig

und sprach also zu seiner Sehnsucht:

Wahrlich! viele sind,

deren Zunge trieft vom Namen Zarathustras,

und im Herzen beten sie zum Gotte Tamtam;

wahrlich, allzu früh erschien er diesem Volke!

Seinen Adler sahen sie fliegen,

welcher heißt – der Wille zur Macht

über die Kleinen;

und seine Schlange nährten sie an ihrer Brust,

die Schlange Klugheit.

Aber seiner Sonne ist ihr Auge blind,[132]

welche heißt – der Wille zur Macht

über den Einen:

den Gott Ich.

Wiedergeburten feiern sie

und Wiedertaufen ihrer Götzen,

aber Keiner wußte noch

sich selber zu befruchten

und seinem Samen jubelnd sich zu kreuzigen.

Der Du Deine neue Sünde lehrtest,

habe Dank! o dürft' ich dir

dein letztes Wort vom Munde küssen,

du lächelnder Priester des zeugenden Todes!

Aber wir leben,

und mancher Art

sind die Sonnenpfeile

und Blumengifte

des zeugenden Todes!

Ach, daß du Manchem auch zu spät erschienest! –

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 132-133.
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