Der Fluß

[126] In den abendgelben Fluß

grub mein Ruder schwarze Trichter,

ohne Wort und ohne Kuß

sahn wir auf die Wellenlichter,

sahn wir eine dunkle Bucht

still das kahle Ufer spiegeln,

sahn der Berge starre Wucht

seine wirbelvolle Flucht

vor uns, hinter uns verriegeln.


Als wir dann um Mitternacht

in der Stadt mit Flüsterlauten

auf der hohen Brückenwacht

standen und hinunterschauten,

schienen uns die schwarzen Mauern

in dem grauen Wasserschacht

ihren Einsturz zu belauern.
[127]

Still, die Sonne kommt herauf,

klar verfolgen meine Träume

bis zum Meere seinen Lauf,

durch die morgenroten Bäume

steigt der blaue Nebel auf.


Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896, S. 126-128.
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