11.

[181] Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen:

Laternen lauern bleich den Fluß entlang.

Gleich trunknen Nixen zucken schwank

die Widerscheine unterm Brückenbogen,

vom Takt der Strömung hin und her gezogen;

zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang.

Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen,

weckt schwanke Erinnerungen:


Ellewelline tanzt Serpentine –

oh, wie war der Maitag wunderbar!

als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte,

als ich im Weibe noch die Welt umarmte;[182]

da hatt ich noch kein graues Haar.

Da hatt ich blaue Himmelschuh an,

und war ein schön feuriger Reitersmann;

jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott.

Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen,

aus »allen neuen Reizen« Freude schlürfen –

gelt, Fürstin – freier als ein Gott!


Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht.

Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften.

Sie will's nicht sehn – wegblicken – Nein, nicht – o Licht:

heilig strömt's über – sie flammt, sie spricht,

schauernd bis in die schwangern Hüften:


Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib!

ich trage dein Blut in meinem Leib!

Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden!

du hast mein nacktes Leben in Händen!

Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib,

verschmäht ein Mann ihren willigen Leib!

Das war's, was Jene zum Äußersten trieb;

was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir –

drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr.

Mich aber hast du blutpflichtig lieb!


Sie zittert; sie will seine Hände fassen.

Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 181-183.
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