12.

[183] Der Mond erleuchtet scheu ein kleines Zimmer;

das Licht durchranken Schatten, viele, viele.

Ein Mann umschreitet schweigend, wie zum Spiele,

die schwarzen Fensterkreuze auf der Diele.

Doch nun, als löse sich ein Blatt vom Stiele,

bebt eines Weibes Stimme durch den Schimmer:


Ich trag ein Kind –von Dir, von Dir –

ich tu meine Wonne auf vor dir –

o trag sie mit mir! gemeinsam! grenzenlos!

Du mußt ja; fühl's doch! ich weiß es und ich sag'es,

mit jedem Pulsschlag sagt mir's Herz und Schooß:

Wir Beide, wir sind Eines Schlages!
[184]

Was quälst du uns! o denk an die Nacht zurück,

als sich's erfüllte, dein Weisheitswort vom Glück!

Ja: alle Torheit, alles Leid

sind Ausgeburt der Einsamkeit.


Die Stimme schweigt; der Raum schweigt mit, wie leidend.

Die Fensterkreuze flehn ins kahle Feld;

doch drüber schwebt die fremde fahle Welt.

Der Mann sagt schneidend:


Oh, ich denke an viele Nächte zurück;

jede war voll Wonne – doch Glück? ist Das Glück?

Dein Schooß, ich hab ihn nicht erschlossen:

ein Andrer hatte ihn vor mir genossen.

Und dein Herz – ich wollt mich nicht danach fragen,

aber wieder und wieder mußt ich mir sagen:

die reinste Glückseligkeit zwischen uns Beiden

ist die zwischen Heiden –

und daß dein Leib dir nicht heilig gewesen ist,

Das zu vergessen vermag nur ein Christ!


Er stiert plötzlich: es war, als flog

jäh ein Glanz hoch, überirdisch schlank.

Da macht's ihn aufschrein: Lea! – sie wankt –

will fliehn – Er – Licht, Schatten, Alles schwankt –

schwankt Herz an Herz ihr: ich log, ich log!

Zwei Menschen weinen – o Glück! – Dank – Dank –

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 183-185.
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