6.

[171] Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,

Gaslichtflammen, rostige Wappenschilder,

und hohe Spiegelwände. Und inmitten

stehn zwei Menschen mit höflich kühlen

Mienen neben den steifen Stühlen

und begrüßen einen Dritten.

Dieser nickt und sieht voll Schonung

und gelangweilt in die Welt.

Und nachdem man Platz gewählt,

sagt ein Weib mit merklicher Betonung:


Hoheit, ich danke für Ihr Entgegenkommen.

Und da Sie gütigst in die Scheidung willigen,[172]

und da uns das Geschick den Erben genommen,

und um Verwickelungen zuvorzukommen,

möchte ich fragen, ob Sie's völlig billigen,

daß mir auch jetzt, das heißt nach Bruch der Ehe,

die Hälfte meiner Mitgift noch zustehe;

sonst will ich mich trotz meines Anspruchs verpflichten,

so weit wie möglich zu verzichten.


Jener wehrt mit gnädiger Bewegung;

hierauf hört man nur das Gaslicht raunen.

Und nach flüchtigem Erstaunen

nimmt ein Mann das Wort, fast mit Erregung:


Hoheit, auch mich verlangt es, Dank zu sagen –

ich leg' ihn nicht mit leeren Händen nieder;

hier bring' ich die Archivpapiere wieder,

die ich gewillt war zu unterschlagen.

Ich möchte aber nicht, daß Hoheit glauben,

ich sei aus Leichtsinn zu der Tat geschritten;

ich trat mein Amt an mit dem Zweck, zu rauben.

Ich möchte nur, daß Hoheit mir erlauben,

als Mensch den Menschen um Verzeihung zu bitten.


Er legt errötend ein Bündel auf den Tisch;

Jener wehrt, als ob er Staub wegfächelt.

Wieder hört man nur das Gasgezisch.

Zwei Menschen glühen; der dritte lächelt.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 171-173.
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