11.

[29] Wolken flattern groß um den Mond;

als ob in staubenden goldbraunen Lappen

eine mächtige Zauberspinne thront.

Die Schritte zweier Menschen tappen

durch eine schattenflackernde Gasse.

Ein Weib sagt mit entzücktem Hasse:


Mein Herz darf Freiheit von diesem Menschen verlangen,

der nichts als meine Mitgift hat gefreit,

und der nichts liebt als ein alt Krongeschmeid,

das Einzige, was Ich von ihm empfangen.

Es ist sehr schön – ein Nest von blinden Schlangen

mit rauchtopasenen Stirn- und Rückenflächen;[30]

draus äugt, wie jetzt der Mond durchs Dunkel,

ein großer bläulicher Karfunkel –

den möcht ich ihm, Das würde mich rächen,

über der Wiege meines Kinds zerbrechen!


Wolken wühlen schwer um den Mond;

als ob durch silbergraue Schollen

mächtige Maulwürfe dringen wollen.

Ein Mann entgegnet, sehr betonend:


Was du von ihm empfangen hast,

ist meiner Seele keine Last;

auch nicht das Kind von seinem Blut!

Aber ich hab ein unabwälzbares Grauen

vor den Gelüsten schwangrer Frauen;

die sind der Seele blindeste Brut.

Vergleich mir nicht den Reiz von toten Steinen

mit dem belebenden Licht, dem reinen;

daß du jetzt arm bist, leite dich hinauf!

Was buhlst du mit Topasen und Karfunkeln –

sei reicher –: hebe deine dunkeln

Augen mit mir zum Himmel auf!


Er staunt: sie steht jäh still im Schreiten:

in ihren Augen und Mundwinkeln streiten

Auflehnung, Pein, Verwundrung, Glück, Ermatten.

Zwei Menschen werfen Einen Schatten.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 29-31.
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