2.

[11] Die Sonne strahlt auf rauhen Reif;

Baum bei Baum steht weiß, steht steif.

Aus ihren Pelzen von Kristallen

lassen die Zweige Tropfen fallen.

Schon zeigt ein Wipfel nackte Spitzen,

die feucht und scheu gen Himmel blitzen.

Der Park will weinen, die Sonne lacht;

zwei Menschen beschauen die schmelzende Pracht.

Sie stehn auf eisernem Balkone.

Ein Mann sagt innig, sagt mit Hohn:


So, Fürstin, war's im blendenden Saale.

So standest du bei deinem Gemahl[12]

in deinem Pelz von Silberbrokat,

als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat.

Da: fühlst du noch? was war da ich,

der hergeschneite Unbekannte,

und wie sich plötzlich außer sich

dein Auge doch in meines brannte

und immer nackter sich entspannte,

als ob im glitzernden Gehölze

das Schwarze aus dem Weißen schmölze.

Ja, Fürstin: da beherrscht' ich mich

und küßte nicht, o Du, die Hand,

die schon zu mir herüberfand,

sonst hätt' ich auch den Mund geküßt:

so klar, so starr ergriff mich dein Gelüst,

mit mir gleich zwei erschütterten Kristallen,

die mächtig warm das ewige Licht beschlich,

in Einen Tropfen zusammenzufallen.

So bist du mir; so rein, so frei! – Und ich??


Hoch steht der Park mit Eis befiedert.

Die starren Wipfel, Trieb an Trieb,

erschauern wirr. Das Weib erwidert:


ich weiß nicht, wie du bist – du bist mir lieb –


Ein Windstoß stöbert durch den Park.

Zwei Menschen fröstelt bis ins Mark.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 11-13.
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