3.

[13] Aus erleuchteten Fensterräumen

tönt in die Nacht Musik und Tanz;

jenseit der Straße verschwimmt der Glanz

unter dunklen Trauerbäumen.

Ein Kirchhof schweigt da, Grab an Grab.

Das Licht prallt von den Leichensteinen,

die schwarz durch weiß zu huschen scheinen;

zwei Menschen wandeln auf und ab.

Am winterlich durchnäßten Zaune

tönt eines Weibes zögerndes Geraune:


Schon Einmal wollt sich bei solchen Klängen

Einer in mein Innres drängen;[14]

ich hatt ihn Jahr und Tag gekannt.

Wenn er in meiner Nähe stand,

ging mir das Blut in Feuerflüssen.

Als er mich endlich wagte zu küssen,

war alles in mir abgebrannt.

Ich hörte nur die Tanzmusik:

was er wie Sphärenklang empfand,

war mir Gedudel und Gequiek.

Ich konnt mir nit ein Wörtchen abringen.

Jetzt – hör ich Engelsharfen klingen.


Von den goldig glänzenden Lettern

der Gräber scheint der Glanz abzublättern:

das Licht schielt um die nassen Gitter.

Ein Mann gesteht, fast mit Gezitter:


Wir haben einander sehr ähnlich gelebt.

Unsre Liebe tanzt auf Leichen,

die keine fromme Hand begräbt.

Noch gestern sah ich ein Gesicht erbleichen:

sie will vom Leben nichts als mich,

ich konnt ihr nichts als Mitleid reichen,

in das sich noch Verachtung schlich.

Ich liebe dich.


Das Licht lacht auf den blanken Steinen;

zwei Menschen möchten lachen wie weinen.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 13-15.
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