15.

[113] Und sie kehren zurück auf bestaubte Bahnen,

Rad an Rad im Fluge durch graue Schlüfte,

durch Blütenmatten ohne Düfte.

Immer dunkler blaut das Moos von Enzianen;

als wolle der glühende Tag die Lüfte

tief an himmlische Nächte mahnen.

Immer finstrer schaut das Weib in die Klüfte:


Lukas, mich peinigt schon seit Stunden ein Ahnen,

als habest du versucht dort oben,

meine Weibesohnmacht zu erproben;

tu das nie wieder, ich bitte dich!

Wie du heut dich über den Abhang bücktest[114]

und mir das einsame Edelweiß pflücktest,

kam eine Empörung über mich:

ich hätt dich hinunterstoßen können,

blos um dich keiner Andern zu gönnen.


Sie wirft die Blume wild hinter sich.

Ein Ruck: sein Rad bäumt. Sie wankt, schreit auf:

er scheint zu stürzen im Rückwärtslauf.

Nein: er greift zu Boden in blitzendem Schwunge,

ist wieder bei ihr mit lachendem Sprunge,

in der Hand die Blume, und steht, fängt sie auf:


Ja! Ja, du: das hab ich versucht dort oben!

und will's immer wieder, immer wieder erproben,

weil du Mein bleiben sollst, weil du stark sein kannst!

Du sollst nicht an deine alten Sünden denken,

wenn du mit mir durchs heilige Leben rollst,

dem du ein Kind von mir geben sollst!

Nein, die göttliche Unschuld wolln wir ihm schenken;

und das Edelweiß hier wird zum Andenken

in deine schwarze Seele gepflanzt,

bis der Heiland mit den Engeln drin Ringelreih tanzt!

Sieh, mein ganzes Herz lacht: du Weib, ich Mann,

o selig, wer dein Gott sein kann!


Er steckt ihr den blühenden Stern ins Haar;

bräutlich glüht der Tag um ein Menschenpaar.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 113-115.
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