16.

[115] Und der Himmel eilt über Täler und Tau.

Und, im Haar einen Kranz von Windenranken,

rollt durch den Glanz voll Wundergedanken

eine irdische Frau.

Wie die weißen Blüten ins Herz ihr schwanken!

wie die Straße mitfliegt mit den schlanken

stählernen Rädern, den sonneblanken!

Und der Mann jauchzt ins helle Morgenblau:


Heia! All Heil, Welt! jetzt geht's bergab!

Achtung! gleich wird dein Herz was erleben.

Flügel, Frau Göttin! Füße heben,

Augen schließen! hei, ich schwebe,[116]

alle Sterne sprühn in mein Dunkel herab!

Das lenkbare Luftschiff ist erfunden,

Wolken fallen mir in den Schooß!

und an keine Erdaxe mehr gebunden,

läßt dein Herrgott auch noch die Lenkstange los!

Los! frei weg! gradaus ins Blaue,

wie Herr Andree der Nordpolfahrer!

Sieh, wie saust die Welt gleich klarer!

Aufgepaßt: da kommt ein wahrer

Eisbär! huh, ein griesegrauer!


Er schwenkt beide Hände, ein Hökerweib grüßend,

das brummend durch den Straßenstaub zieht,

wütend die lachende Dame besieht.

Die ruft blütenumflattert vorüberschießend:


Aber Lux! Mann! Mensch! die stirbt ja vor Schreck!

Halt! mein Kranz! na wart du: ich hol' dich schon ein,

du Unmensch! dann renne Ich dir weg –


Und –: ein Stoß, als stürze das Weltall ein:

Sterne sprühn: nachtwolkenbedeckt

kommt sie zu sich aus Stahl, Staub, Stein:

da liegt er blutend hingestreckt.

Und oben steht das Hökerweib

und lacht und schlägt sich vor den Leib.

Zwei Menschen stimmen stöhnend ein.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 115-117.
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