Erster Auftritt.

[151] Landrath, gleich darauf Ernestine.


LANDRATH lesend.

»Und naht sich uns, wonach wir heiß verlangen,

Dann bebt das Herz, geblendet und voll Bangen,

So nah' dem Ziel, sind wir ihm doppelt fern.«

Ja ja, wer nicht hellen Auges in die Sonne sehen kann, wer im Momente der Entscheidung das vorüberrauschende Glück nicht dreist bei den Haaren zu ergreifen vermag, dem wird das Leben nie gelingen. Er sieht wieder in das Taschenbuch.


Ernestine ist durch die Seitenthür eingetreten, hat ein Körbchen mit zugeschnittenem Kuchen auf den Tisch gestellt und ist, ohne Absicht den Landrath zu belauschen, hinter seinen Stuhl getreten.
[151]

ERNESTINE. Ist dies das Resultat Ihres frühen Spazierganges?

LANDRATH sich betroffen umwendend. Ah – Ernestine. Er steckt das Buch ein.

ERNESTINE. Guten Morgen, Herr Landrath, – o verstecken Sie nicht so schnell, ich sah Sie früh im Park gehen, dann stehen und schreiben, gewiß wieder ein poetischer Erguß, mit dem Sie wahrlich nicht so neidisch seyn sollten.

LANDRATH. Ein paar unbedeutende Einfälle –

ERNESTINE. Aber meinem Fräulein werden Sie die Verse doch zeigen?

LANDRATH. Fräulein Elise? – behüte.

ERNESTINE. Kommt Sie vielleicht darin vor?

LANDRATH verlegen. In dem Gedichte? – Wo denken Sie hin! – Aber ich habe etwas Interessanteres für Sie! Zieht einen Brief hervor.

ERNESTINE freudig. Ein Brief von Willnow?


Quelle:
Eduard Devrient: Dramatische und dramaturgische Schriften, Leipzig 1846, S. 151-152.
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