Schweigen ohne Unschuld

[308] Der gelehrte Afrikaner sagt uns nicht, was Mangogul tat, während Bloculocus auf sich warten ließ. Wahrscheinlich ging er hinaus, um einige Kleinode zu befragen, war zufrieden mit dem, was er von ihnen erfuhr, und kehrte wieder zur Favorite mit dem Freudengeschrei zurück, womit dieser Abschnitt anhebt: »Sieg! Sieg! Sie[308] triumphieren, Madam! Das Schloß, das Porzellan und der kleine Wickelschwanzaffe gehören Ihnen!«

»Sie sahen Aglae?« fragte die Favorite. »Nein, Madame, nicht Aglae,« unterbrach sie der Sultan, »eine andre!« »O Fürst,« sagte die Favorite, »entziehn Sie mir nicht länger dies Vergnügen, diesen Phönix zu kennen.« – »Sie werden mir nicht glauben, wenn ich ihn nenne ...« »Nun, wer denn ...?« fragte die Favorite. »Fricamone,« antwortete der Sultan. »Fricamone?« versetzte Mirzoza, »ich sehe darin nicht Unmögliches. Die Frau hat den größten Teil ihrer Jugend im Kloster zugebracht, und seit sie es verließ, ein sehr erbauliches, eingezogenes Leben geführt. Kein Mann setzt einen Fuß in ihr Haus. Sie ist gleichsam die Priorin einer Herde frommer Jungfrauen, die sie zur Vollkommenheit heranbildet und von denen ihr Haus nicht leer wird. Da war nichts für Euch Männer zu holen,« setzte die Favorite hinzu und schüttelte lächelnd den Kopf.[309]

»Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul. »Ich fragte ihr Kleinod; es gab keine Antwort. Ich verdoppelte die Kraft meines Ringes und rieb ihn einmal über das andre. Es kam nichts. ›Das Kleinod muß taub sein,‹ sprach ich bei mir selbst und war schon im Begriff, Fricamone auf dem Ruhebette zu verlassen, wo ich sie gefunden hatte, als sie anfing zu reden, nämlich durch den Mund:

›Teure Acaris!‹ rief sie, ›wie glücklich bin ich in den Augenblicken, die ich allem Lästigen entziehe, um dir anzugehören. Die Augenblicke, die ich in deinen Armen zubringe, sind das Glück meines Lebens! Nichts zerstreut mich, alles ist still um mich her. Die halbgeöffneten Vorhänge lassen vom Tage nur so viel herein, als nötig ist, mich zärtlich über dein Bild zu beugen. Ich befehle meiner Phantasie, sie ruft dich herbei, und ich sehe dich leibhaftig vor mir. Teure Acaris! wie schön bist du! Ja, das sind deine Augen, das ist dein Lächeln, dein Mund! Verbirg mir nicht diesen werdenden Busen! Laß ihn mich küssen.[310] Ich kann mich nicht satt an ihm sehen. Noch einen Kuß! O, laß mich sterben an ihm! Was für eine Raserei packt mich! Acaris, teure Acaris, wo bist du? Komm doch, teure Acaris! O liebe, teure Freundin, ich schwöre dir, ein nie gekanntes Gefühl bemächtigt sich meiner Seele. Es füllt mich ganz, es setzt mich in Erstaunen, es überwältigt mich. Fließt, o kostbare Tränen, fließt und kühlt die Glut, die mich verzehrt! Nein, teure Acaris, nein, dieser Alicali, den du mir vorziehst, liebt dich nicht wie ich! ... Aber ich höre ein Geräusch ... Das ist Acaris, das ist Acaris! Komm, o komm, teure Seele ...«

»Fricamone täuschte sich nicht,« fuhr der Sultan fort, »es war wirklich Acaris. Ich überließ sie ihrer freundschaftlichen Unterhaltung, und in der festen Überzeugung, das Fricamonens Kleinod fortfahren würde, zu schweigen, eilte ich her, um Ihnen anzukündigen, daß ich verloren habe.«

»Aber ich verstehe diese Fricamone nicht,« sagte die Sultanin. »Sie ist entweder verrückt oder hat erschreckliche Nervenkrämpfe.[311] Nein, Fürst, ich bin gewissenhafter, als Sie glauben. Zwar hab' ich nichts gegen diese Prüfung einzuwenden, aber ein inneres Gefühl erlaubt mir nicht, Vorteil daraus zu ziehen, und so werde ich mir's auch nicht zunutze machen. Das steht fest. Ich entsage Ihrem Schloß und Ihrem Porzellan oder ich gewinne sie durch ein besseres Recht.«

»Ich verstehe Sie nicht, Madam,« antwortete Mangogul. »Das ist ja eine unbegreifliche Bedenklichkeit. Sie müssen wohl den kleinen Wickelschwanzaffen nicht recht betrachtet haben.«

»Ich habe ihn genau betrachtet,« erwiderte Mirzoza. »Ich weiß, wie schön er ist. Aber ich hege einen Argwohn, daß diese Fricamone nicht mein Fall ist. Wollen Sie, daß ich Ihre Wette einmal gewinnen soll, so klopfen Sie an andre Türen.«

»Meiner Treu, Madam,« versetzte Mangogul, »ich habe reiflich nachgedacht und wüßte nur noch Mirolos Geliebte, die Ihnen zum Gewinn verhelfen könnte.«

»Was fällt Ihnen ein?« sagte die Favorite.[312] »Zwar kenn' ich den Mirolo nicht, wenn er aber eine Geliebte hat, so ist sie's doch nicht umsonst.«

»Wahrhaftig nicht,« antwortete Mangogul, »und doch wett' ich, so hoch man will, Callipigiens Kleinod hat kein Wort zu sagen.«

»Seien Sie nur mit sich selbst einig,« sagte die Favorite. »Es sind doch bloß zwei Fälle möglich. Entweder Callipigiens Kleinod ... Aber ich hätte mich da beinahe auf einen lächerlichen Streit eingelassen. Tun Sie, was Sie für gut halten, Fürst. Befragen Sie Callipigiens Kleinod. Bleibt es stumm, um so schlimmer für Mirolo, um so besser für mich.«

Mangogul verließ sie und befand sich im Augenblick zur Seite des dunkelfarbigen, silbergestickten Sofas, auf welchem Callipigia ruhte. Kaum drehte er seinen Ring gegen sie, als eine dumpfe Stimme folgende Worte murmelte: »Was wollen Sie von mir? Ich verstehe Ihre Fragen nicht. An mich denkt überhaupt keiner. Und doch halt' ich mich nicht für schlechter,[313] als irgendein anderes Kleinod. Freilich kommt Mirolo oft bei meiner Tür vorbei, aber ...«

An dieser Stelle befindet sich eine beträchtliche Lücke. Der würde sich um die gelehrte Republik sehr verdient machen, der uns die Rede des Kleinods der Callipigia wieder ergänzte, von welcher uns nur die beiden letzten Zeilen noch übrig sind. Wir ersuchen alle Gelehrte, darüber nachzusinnen und zu erwägen, ob nicht der Verfasser vielleicht diese Lücke vorsetzlich gelassen habe; weil er nicht zufrieden mit dem war, was er gesagt hatte und nichts Besseres zu sagen wußte. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

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»Meinem Nebenbuhler, sagt man, würden jenseits der Alpen Altäre errichtet. Ach, gäbe es keinen Mirolo, mir errichtete die gesamte Welt welche!«

Mangogul kehrte sogleich zum Harem zurück und wiederholte der Favorite die Klage des Kleinods der Callipigia, Wort für Wort; denn er hatte ein bewundernswürdiges Gedächtnis. »Sie haben jetzt[314] gewonnen Spiel, Madam,« sagte er, »ich überlasse Ihnen alles, und Sie können sich bei Callipigia dafür bedanken, sobald Sie es für gut halten.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza ernsthaft, »nur der bewährten Tugend will ich meinen Gewinn verdanken und nicht ...«

»Aber Madam,« versetzte der Sultan, »welche Tugend ist mehr bewährt, als die den Feind so in der Nähe erblickte?«

»Ich weiß, was ich sage, Fürst,« antwortete die Favorite. »Da sind Selim und Bloculocus; sie mögen entscheiden.«

Selim und Bloculocus nämlich traten gerade hinein. Mangogul legte ihnen den Fall vor, und sie stimmten beide für die Meinung der Favorite.

Quelle:
Denis Diderot: Die geschwätzigen Kleinode. München 1921, S. 308-315.
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