3.

[173] Noch einen Strahl, eh' in dem Wogenbette

Du deines Tages letzte Glut ertränkst,

Und fern auf andre, glücklichere Städte,

Belebende! dein Himmels-Auge lenkst!

Noch einmal webe um die rote Firne

Des Felsens deinen zauberischen Glast,

Ein Diadem um eines Riesen Stirne,

Das hell der Falten grauen Ernst umfaßt.
[173]

Sie winkt, die Sonne, freundliche Gewährung

Und lauscht aus Wolkenschleiern groß hervor;

Es schwimmt das Meer, die Insel in Verklärung,

Der ganze Westen scheint ein flammend Tor.

Aus lauter Strahlen baut sich eine Brücke,

Den Himmel einend mit dem dunklen Strand,

Fort strebt die Welle, strebt zum Land zurücke

Und spinnt so hin und her ihr funkelnd' Band.


Wer wandeln könnte auf dem goldnen Pfade,

Dem Lichte nach, in die Unendlichkeit!

Wen der Delphin hintrüge, die Najade,

Die Wogen auf und ab, wer weiß wie weit?

Dort, wo der Sonne Feuerball sich bettet

In Well', und Wolkenpfühle eingehüllt,

O wer dahin, dahin sich erst gerettet,

Dem Glücklichen wär' Wunsch und Traum erfüllt!


Da fangen Brück' und Band an zu zerrinnen,

Die Bogen lösen sich in Schaum und Duft,

Es dunkelt um des Eilands Felsenzinnen,

Die Nacht bewältigt Meer und Land und Luft.

Fahr wohl, fahr wohl! Noch seh' ich deinen Schimmer,

Den sterbenden, der mir verheißend winkt,

Doch ach! erreichen kann ich dich ja nimmer,

Da mit dir auch der lichte Pfad versinkt.


So steht enttäuscht, die Arme ausgebreitet,

Der Dichter an des Lebens nacktem Strand;

Das luft'ge Bild, das seinem Blick entgleitet,

Vergeblich wähnt er's nah-gerückt, gebannt.

Nach Zielen schwärmt er in der Weihe Stunden,

Zu denen glanzvoll sich ein Weg ihm beut,

Doch mit dem Ziel ist auch der Weg verschwunden,

Wie jene goldne Sonnenbrücke heut'.


Geh heim! Es harret an dem Felsengange

Im letzten Häuschen eine Zelle dein,

Dort wiege bei dem nächtlichen Gesange

Des Winds, der Welle dich getröstet ein.

Und sieh, ist auch die Sonne gleich versunken,[174]

Du bist verlassen, du bist lichtlos nicht, –

Im Osten taucht ja eben, wehmut-trunken

Und mild, empor des Mondes Angesicht.

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 173-175.
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