Frage und Antwort

[142] Gesellschaftsspiel


»Warum denn nur in allen Sachen

Den unzufrieden Tadler machen?

Was spielst Du, nimmer-müder Krittler,

Nicht lieber freundlich den Vermittler?


Dein Sinn besieht mit rechtem Willen

Die Welt durch schwarzgefärbte Brillen,

Und in Kritik, in Wunsch und Klage

Verträumst Du Deine besten Tage.


Du wirst durch Predigen und Schimpfen

Nur Mißmut in die Menschen impfen,

Und dennoch macht Dein wildes Lästern

Das träge Heute nicht zum Gestern.


Du kannst das Rad der Zeit nicht drehen,

Es wird im alten Gleise gehen,

Das Wort befreit die Erde nimmer,

Es macht nur schlimme Dinge schlimmer.


Genieß doch wie die andren tuen,

Die weise dort im Schatten ruhen,

Und statt die Macht keck zu bestreiten,

Such schlau an ihr emporzugleiten.


Was kümmern Dich die freien Pressen,

Wenn du zu trinken hast, zu essen?

Und was das allgemeine Beste,

Wenn Du behaglich sitz'st im Neste?


Sieh zu, wie hoch's die Klugen treiben,

Willst Du am Boden ewig bleiben?

Du hast die Kraft, nun brauch sie richtig

Und mach Dein Pfund durch Wucher wichtig!«


– Und hätten so wie Du gedacht

Die unsre Väter sind,[143]

So wär's im Land noch immer Nacht

Und wir noch immer blind.


Wohl ist es schwach und arm mein Wort,

Weil ich nur Dichter bin,

Doch trägt's vielleicht ein Lüftchen fort,

Wer weiß wie und wohin?


Es gleicht dem dunklen Samenkorn,

Du kennst das alte Bild:

Eins fällt in Busch und Stein und Dorn,

Eins in ein Fruchtgefild.


Vielleicht blüht über Tag und Jahr,

Wenn längst der Sä'mann tot,

Auf steilen Felsen wunderbar

Ein Blümlein weiß und rot.


Der Frühling kommt schon über Nacht,

Ziehn erst die Schwalben um;

Weil eine keinen Sommer macht,

Drum sei sie noch nicht stumm.


Und wenn ich nicht, wie Ihr es wollt,

Euch lobe mit Geschrei, –

Ei nun! ich singe nicht um Gold

Und bin kein Papagei.


Ihr mietet Euch des Zeugs genug

Und für Euch sind sie all,

So laßt der Lerche ihren Flug,

Ihr Lied der Nachtigall.


Nach Hohem steht mir nicht der Sinn,

Wie Ihr es meint, Ihr Herrn,

Nach Sternen streb' ich freilich hin,

Doch nicht nach einem Stern.


Mit Euch genießen mag ich nicht,

Ihr weint ja nicht mit mir,

Und was das Herz entzwei mir bricht,

Ach! dazu lächelt Ihr.
[144]

Daß ich die Welt nicht anders seh,

Als wie – durch Euch! – sie ward,

Glaubt mir, das tut Euch minder weh,

Als mir und meiner Art.


Geh du die Wege deiner Pflicht,

Weil ich die meinen geh';

Ich hadre mit dir wahrlich nicht,

Und damit, Mann, ade!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 142-145.
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Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters (Deutsche Texte)

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