6. Edward Gray

[169] (Tennyson.)


Emma Moreland, das freundliche Kind,

Traf mich draußen und kam auf mich zu:

»Hast dein Herz verloren?« frug sie geschwind,

»Edward Gray, wann heiratest du?«


Als sie mich so zur Beichte gekriegt,

O da weinte ich bitterlich:

»Süße Emma Moreland, ewig versiegt

Ist der Liebe Born für mich!


Inniglich liebte mich Ellen Adair;

Vater und Mutter wurden ihr gram –

Dort liegt sie begraben, – frage nicht mehr,

Von wannen ich eben kam.


Scheu war sie, nicht kalt, – ich wußt' es zu spät;

Denn ich mied, ja ich mied sie lang',

Strich durch die Meere, von Hochmut gebläht,

Als sie mit dem Tode rang.
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Grausame Worte, die sie gehört,

O wie thun sie mir jetzt so weh!

Bist ein eitles Ding, so sprach ich bethört,

Gar zu leicht für Edward Gray.


Dort barg ich mein Antlitz im feuchten Gras

Und rief: Meine Zeit ist um;

Mich reut, was ich that – und dies und das;

Doch ihr armes Grab blieb stumm.


Da schrieb ich auf den bemoosten Stein,

Nun ihres Grabes schönste Zier:

Hier liegt Ellen Adairs Gebein,

Und auch Edwards Herz liegt hier.


Wie Vögel flattern von Baum zu Baum,

So mag Liebe kommen und gehn.

Süße Emma Moreland, mein einziger Traum

Ist, Ellen wiederzusehn.


Bitterlich weinte ich über den Stein,

Bitterlich weinend geh' ich fort:

Dort liegt Ellen Adairs Gebein,

Doch auch Edwards Herz liegt dort!«

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 169-171.
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