24.

[250] Ich klage nicht. – Zwar ist mein Lebensbuch,

Gleich andern, kein vergoldetes gewesen;

Auf mancher Seite ist das Wort zu lesen:

Ach, soviel Arbeit um ein Leichentuch!

Nicht jene Ruhe, die Horaz besungen,

Genügt mir ganz – mit ländlichen Idyllen

Vermag ich meine Sehnsucht nicht zu stillen:

Doch ein gerechtes Urteil ist errungen.

Wenn Leidenschaften, wütende Despoten,[250]

Mir einst das Herz zerfleischt, in jungen Jahren,

Sein heißes Pochen hat Ersatz geboten

Für jener Zeiten Leiden und Gefahren.

Wenn statt des Friedens, den ich stets erfleht,

Gedanken mich erfüllten, kaum zu zügeln,

Die Liebe hat mit ihren Engelsflügeln

Mir immer neue Hoffnung zugeweht.

O fern von hier, verloren in der Wildnis,

Sah ich manch süßes, manch geliebtes Bildnis,

Sah holder Augen Glanz herüberleuchten

In Nächte, halb durchträumte, halb durchweinte,

Und fühlte Thränen, treu' und gutgemeinte,

Die fieberhafte Stirne mir befeuchten.

So kann ich das Verlorne nun verschmerzen

Und mich in das, was unabwendbar, schicken

Und an Erinnerungen mich erquicken

Mit Todeshymnen im Poetenherzen.

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 250-251.
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