Erste Szene

[511] Ein Buchladen; im Vordergrunde ein Fenster mit halbgeschlossenen Vorhängen, das auf den Rhein geht; alle Stühle mit Papieren, Ballen etc. beladen.


SPETH ein kleines, magres Männchen, mit rotem Gesichte, graulichtem Haare, einer Brille, sitzt vor einem mit Papieren und Paketen bedeckten Tische und hält einen offnen Brief in der Hand; lesend. »Und kurz, Herr Speth, ich kann nicht, durchaus nicht. Die Rebe blüht, alles liebt und paart sich, da wird mir der Pegasus auch kollrig und rennt Gott weiß welcher Irionswolke nach. Indessen kann es sein, daß wir uns bald sehn; mich hat geträumt, ich würde nächstens Lust bekommen, an den Rhein zu gehn, respektive fahren, schwimmen – ob's dazu kommt? Nescio; und somit Gott befohlen. Ihr ergebener Friedrich Sonderrath.« Er läßt das Blatt sinken. Ja wohl, Sonderrath! ich bin sonder Rat. – Windbeutel und kein Ende! Und ob er nun hieher kommt, das steht auch noch sehr dahin, nachdem er mich vier Wochen lang hat auf sich warten lassen. Er wirft den Brief auf den Tisch; heftig. Nein, nein, nein! Ich will mich auch gar nicht mehr mit dem Dichtervolk einlassen. Wer liest denn noch Gedichte? Eine Kammerjungfer, die in den Sekretär verliebt ist? Aber ich bin zu fromm, viel, viel zu fromm, – ein alter Kerl, zwanzigmal angeführt, und doch noch nicht klug; ich sage es immer, sie werden mich noch aus Rock und Kamisol schreiben. Na, weiter! Er ergreift ein Paket. Das dickste zuerst! Er öffnet es. Hu, Krebse! »Das Echo im Felstale«, von Claudine Briesen – Zählt. – zehn – zwanzig – und dreißig – vierzig – fünfzig – wie? Er nimmt das letzte Bündel nochmals. Zwei – vier – sechs – acht – zehn – o Jammer, Jammer! Auch nicht ein einziges Exemplar verkauft! Ärgerlich. Du alte[511] Schachtel, komm du mir mal wieder, mit deinen Pavodettenaugen und deinen weißen Schwungfedern! Doch – 's ist meine eigene Schuld; warum bin ich ein Esel! Er nimmt ein zweites Paket; freudig. Ha, Seybold, und ein gutes Bündel! Er wägt es auf der Hand. Das ist delikat, da steckt noch manches Gläschen Wein darin; Öffnet es. wenn das lauter Rezensionen sind, dann können sie mir das Loch im Geldbeutel schon so ziemlich wieder zuziehn. Er schlägt die Blätter auseinander. O weh, Gedichte! Lauter, lauter Gedichte! Seufzend. Wenn mir der gute Mann doch nicht immer so viele schlechte Gedichte zu seinen guten Rezensionen einakkordierte! Er betrachtet das Paket. Ein dicker, saurer Apfel, und ich muß doch hineinbeißen, sonst geht er mir Mit den Fingern schnellend. Pst! Hm, auch ein Brief. Er öffnet ihn. Was? Was ist das? Gedichte von Anna Freiin von Thielen, und die soll ich ihm verlegen? Ich? Hab' ich nicht genug an seinem eignen Misere. Er legt den Finger an die Nase. Wart, wart, wo hab' ich denn von der Frau gehört – oder gesehn – Richtig! Die Balladen im Abendblatte, Anna Freiin von Thielen; richtig! Hm, die war so übel nicht; die Frau hat Talent genug, wenn sie sich nur an einige Ordnung gewöhnen wollte; mich dünkt, die Verse rannten gegeneinander wie scheugewordne Pferde. Und dann – so ein gewisses aristokratisches Heimweh nach der Feudalzeit, so ein weiblicher Bendemann! Lächelnd. »an den Wasserflüssen Babylons saßen wir und weinten um Jerusalem« hähä! Nun, man muß sehn; den Seybold darf ich nicht recht vor den Kopf stoßen; der ist meine beste Milchkuh, er und Sonderrath. Seufzend. O Sonderrath, du Verräter! Soll ich denn wirklich von deinen Reminiszenzen vom Rhein nichts haben als die Reminiszenz an meinen leeren Geldbeutel? Er nimmt die Feder vom Ohr und rechnet. Fünzig Stahlstiche – für zweitausendachthundert Exemplare Papier und Rechnet leise weiter. – zusammen fünftausend Taler – macht jeden Monat sechzehn Taler acht Groschen Zinsen, Mit Nachdruck. sechzehn Taler acht Groschen – perdu![512]


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 511-513.
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