Zweite Szene

[513] Herr Speth, Frau Speth, eine noch rüstige Frau, mit lebhaftem, jovialem Gesichte, tritt herein und legt ihm die Hand auf die Schulter.


FRAU SPETH. Was ist perdu?

SPETH wendet sich freundlich um und nimmt die Brille ab. Sieh, Fränzchen, bist du es? Was willst du, Kind?

FRAU SPETH. Geld, lieber Freund, Geld!

SPETH. Geld? Ja, wieviel denn? Er zieht den Beutel. FRAU SPETH. Gib mir ein bißchen Vorrat, daß ich dich nicht immer überlaufen muß, so eine zwanzig Taler.

SPETH erschrocken. Zwanzig Taler!? Kind, die wüßte ich dir doch jetzt aus allen Nähten nicht zusammenzuklopfen. Er hält den Beutel in die Höhe. Siehst du mein Beutelchen? Was dünkt dich? verdammt dünnleibig.

FRAU SPETH. Wenn keine Louisdore darin sind.

SPETH. Ja, Louisdore! Die schüttelt man auch so von den Bäumen. Wehmütig. Kennst Du wohl Kassemännchen und Silbergroschen?

FRAU SPETH. Laß sehn! Sie zupft ihm den Beutel aus der Hand und greift rasch hinein. Was hab' ich erwischt? Sie öffnet ein Papier. Gerade recht, zwei Doppel-Louisdor – ich bedanke mich. Will gehn.

SPETH hält sie am Ärmel. Fränzchen, Fränzchen, was fällt dir ein? Wahrhaftig, sie nimmt mir alles!

FRAU SPETH. Bewahre, es klingelt noch recht schön. Sie schüttelt den Beutel.

SPETH. Ach Gott, was klingelt denn! Vier preußische Taler und zwölf einzelne Silbergroschen, auf Ehre, kein Heller mehr; nein, sei doch vernünftig!

FRAU SPETH befühlt den Beutel. Eins-zwei-drei- vier, und da noch ein dickes Stück, das ist ein Krontaler.

SPETH halb lachend. Bewahre, das ist der Deckel von meiner alten Tabaksdose, den ich gestern zerbrochen habe. Ängstlich. Gib her, komm! Soll ich denn gar nichts behalten?[513]

FRAU SPETH. Du hast noch genug.

SPETH. Es ist ja der Deckel, der Deckel sag' ich dir. Was in aller Welt soll ich denn mit vier Talern zwölf Silbergroschen anfangen? Ich kann ja nicht mal eine Flasche Wein für einen guten Freund bezahlen.

FRAU SPETH mit dem Finger drohend. Speth, Speth, sind wir wieder auf dem Terrain? Denk an deine Gesundheit und an deine Frau.

SPETH komisch seufzend. Ich denke ganz viel an meine Frau.

FRAU SPETH. Weißt du noch, neulich der Schwindel in Olbers Garten? und um Weihnachten beim Onkel?

SPETH hastig. Ja, da hatte ich auch beide Male – Er stockt.

FRAU SPETH. Nun? Lachend. Nein, du hattest keinen Spitz, du hattest nur drei Gläser getrunken; ich habe sie genau gezählt. Aber, ich sage es dir ungern, du mußt dich sehr in acht nehmen, du bist sehr vollblütig.

SPETH ungläubig. I behüte! ich bin ja der magerste Mann in der ganzen Stadt.

FRAU SPETH. Korpulent bist du freilich nicht, aber sieh mal in den Spiegel – dein Gesicht?

SPETH. Hm, ganz nett, ganz manierlich.

FRAU SPETH. Jawohl, rot um den Kopf wie ein Puter – nun, gib dich zufrieden, Sie küßt ihn. mir bist du schön genug und bist auch überhaupt ganz wacker, wenn du dich ordentlich gekämmt und rasiert hast. Aber das Geld laß mir; das ist bei mir besser aufgehoben wie bei dir.

SPETH läßt sie los. Nun in Gottes Namen! – nur Ernsthaft. ich bitte dich, Fränzchen, halt gut haus. Knapp zusammen, sage ich immer, knapp zusammen; du weißt nicht, wie bitterlich sauer es mir wird, der Teufel weiß, man hat Verluste an allen Ecken.

FRAU SPETH. Ganz richtig, perdu! Was ist denn wieder perdu?

SPETH. Ach nichts – meine Brille.

FRAU SPETH lachend. Was Brille! Nichts Brille! Meinst du, ich wüßte nicht, daß dein Perdu immer soviel heißt, als:[514] da bin ich mal wieder untern Zopf gespuckt? Nur frisch heraus; mich führst du doch nicht an.

SPETH nimmt einen Federputzer vom Tische und spielt damit. Ach, nun – sieh, der Sonderrath, der Schlingel –

FRAU SPETH. Der ist ja dein lieb Kindchen?

SPETH mit Nachdruck. Gewesen! Du weißt doch, daß ich sein Werk über die Rheingegenden verlegen soll.

FRAU SPETH. Ja, was dich schon das horrende Geld gekostet hat, an Stahlstichen und Papier.

SPETH nach und nach heftiger werdend. Nun sieh, der will mit einem Male nicht schreiben, aber gar nichts, keine Reminiszenzen und keine Gedichte, nichts, sage ich dir – nicht mehr, als was ich hier auf der flachen Hand habe. Er streckt die Hand vor.

FRAU SPETH lächelnd. Das ist nun freilich für dieses Mal ein Federputzer; Ernsthaft. aber warum nicht?

SPETH heftig. Warum nicht? Warum nicht? »Weil die Rebe blüht und sich alles liebt und paart.«

FRAU SPETH zornig. Ist der Kerl denn ein Kater, oder ein Kuckuck? Aber ich würde ihn schon kriegen! Tausend nochmal! Hat denn jeder Flandus das Recht, einen ehrlichen Mann an den Bettelstab zu bringen? Verklag ihn, Speth, verklag ihn!

SPETH beklemmt. Kind! das weißt du nicht! da wird er mir erst ganz sperrig. Nein, ich muß nur so sachtchen lavieren, simulieren, bis ich ihn ganz piano wieder in den Gang gebracht habe.

FRAU SPETH. Ei was, bei dem wirst du doch keine Seide spinnen; laß dir deinen Schaden ersetzen, und dann mag er laufen.

SPETH. Ja, Schaden ersetzen! Da kommst du recht! Meinst du, wenn ich den ganzen Sonderrath bis aufs Hemde auszöge, daß ich etwas anderes fing, als allenfalls ein paar Flöhe und das Porträt seiner Geliebten? Das sind mir die Rechten!

FRAU SPETH spottend. Habe ich das nicht immer gesagt! Hättest du dich an Gott und die Religion gehalten, den[515] Katechismus verlegt und die Bibel, dann hättest du dein honettes Brot; die muß jeder kaufen, und sind auch längst fertig geschrieben; oder was dir die Professoren so zuschicken, das sind solide Leute, die den Pelz nicht verkaufen, ehe sie den Fuchs gefangen haben.

SPETH seufzend. Das ist wohl wahr.

FRAU SPETH. Ich halte besonders viel auf Leute, die Perücken tragen und Jabots, je breiter, je besser. Aber stattdessen ziehst du dich mit dem Dichtervolk herum: »Lustig gelebt und selig gestorben, das heißt dem Teufel die Rechnung verdorben«; den Hut auf einem Ohr, das Glas in der Hand, und dann: »Rosen auf den Weg gestreut«; wahrhaftig, ich fange vor Ärger an zu singen wie 'ne Eule.

SPETH besänftigend. Stille, stille, ärgere dich nicht!

FRAU SPETH mit humoristischem Zorne und rasch redend. Laß sehn! Was hast du denn Rechtes an der Hand? Vorerst dieser – wie heißt denn der Windbeutel? – Sonderrath, das soll ein großes Genie sein; ja wohl, Genie in deine Tasche!

SPETH. Piano!

FRAU SPETH. Oder ist der Willibald besser? Freilich, der liefert seine Sachen ab, daß man nachher das ganze Jahr von den Krebsen Suppe kochen kann. Hans Narr, mit seinem gescheitelten Haar wie ein Hund, der durchs Wasser gejagt ist!

SPETH lachend. Ich kann ihr nicht steuern –

FRAU SPETH. Sag selbst, sieht der Kerl nicht komplett aus wie 'ne verregnete Krähe? Nachäffend. »Meine werteste Frau Speth«, – ja ich will dich.

SPETH seufzend. Der erwischt mich auch nicht wieder.

FRAU SPETH. Doch, doch, wenn er dich so gut kennt wie ich, noch zehnmal. Und nun gar dein Weibervolk –

SPETH lachend. Die Damen willst du sagen.

FRAU SPETH halb lachend. Jawohl, deine Blaustrümpfe, die Briesen z.B.: Geziert. »der reizende Morgen hat mich hinausgelockt«, Natürlich. und sieht dann so erfroren aus wie[516] ein gerupftes Huhn, – ich glaube, die Person friert den ganzen Tag.

SPETH. Du hast es gut vor.

FRAU SPETH lebhaft. Aber sag selbst, sieht die Person nicht genau aus wie eine erfrorne Kartoffel? Und dann die Austen mit ihren siebenzig Jahren, Rosaband, an jedem Finger einen Ring mit Souvenir oder 'nem Haarschwänzchen; und das ganze Zimmer voll Porträts von ihren alten Schätzen, der mit 'nem Haarbeutel, der mit 'nem langen Zopf, der mit 'ner runden Perücke. –

SPETH. Du hältst ja so besonders viel auf Leute, die Perücken tragen?

FRAU SPETH. In meinem Leben habe ich nicht so schmutzige, verknutschte Wäsche gesehn, wie die beiden Weiber immer an sich tragen. Ich bin allzeit in Versuchung, ihnen ein paar Ellen Leinen anzubieten, damit sie doch nicht so zum Spektakel umherlaufen.

SPETH. Nun ist's aber auch gut, nun hast du ihnen den Text tüchtig gelesen.

FRAU SPETH gutlaunig. Ei was, du nimmst immer ihre Partei, weil du selbst so ein halber Pegasusreiter bist.

SPETH erstaunt. Ich?

FRAU SPETH. Ja, du! singst du keine Lieder?

SPETH. Mein Lebtage nicht anders wie mit der christlichen Gemeinde.

FRAU SPETH. Was? willst du leugnen, daß du vor zwanzig Jahren ein Gedicht auf mich gemacht hast?

»Ach,ach,ach,

Meine werte Klara Zach,

Ich verbleibe früh und spät

Ihr getreuer Wilhelm Speth«,

und das willst du leugnen? war es nicht an einem Stachelbeerbusch? Und hast du dir nicht dasmal ein großes Dreieck in deinen neuen Frack gerissen? Verräter!

SPETH küßt ihr die Hand. Dummes Ding!

FRAU SPETH zieht die Hand fort. Nein, geh nur! Ich bin tief gekränkt![517]

SPETH. Ja, du bist mir die Rechte!

FRAU SPETH freundlich. Bin ich die Rechte? Nun, das ist doch noch brav von dir; du bist mir auch der Rechte, Sie drückt seinen Kopf zwischen ihren Händen. mein rechter, guter, alter, frommer Hals. Addio! Im Abgehn. und notabene. Wilhelm, laß der Ida nicht so viele Bücher zukommen; sie hat mir gestern abend einen Hemdärmel unten an den Saum gesetzt.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 513-518.
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