Dreizehnte Szene

[565] Die Vorigen; Anna von Thielen eine große schöne Frau, von sehr vornehmen Anstande, sie ist einfach, aber reich gekleidet.


SPETH vor sich. Da mache ich doch noch heute ein gutes Geschäftchen.

FRAU VON THIELEN bleibt in der offenen Türe stehen. Herr Seybold, sind Sie fertig?

SEYBOLD. Ja, meine gnädige Frau. Greift nach seinem Hute.

FRAU VON THIELEN heftet ihre Augen auf ein hochstehendes Buch. Herr Seybold, Sie sehen schärfer als ich; stehn dort die Schriften der Jane Baillie?

SPETH vortretend. Jawohl, meine gnädige Frau, zu Ihrem Befehle. Er steigt auf die Bücherleiter und reicht sie ihr. Zwei Bände.

FRAU VON THIELEN. Wie teuer?

SPETH. Drei Taler.


Frau von Thielen nimmt von dem hinter ihr stehenden Livreebedienten ein zierliches Körbchen, langt ihre Börse hervor und legt das Geld auf den Tisch.


SPETH das Geld erfassend. Eine ausgezeichnete Schriftstellerin!

FRAU VON THIELEN. Jawohl.

SPETH. Es wundert mich nicht, daß Ihro Gnaden von einem Ihnen so ähnlichen Geiste angesprochen werden.


Frau von Thielen sieht ihn befremdet an.


SPETH. Herr Seybold hat mir die angenehme Aussicht gegeben, Ihre Gedichte verlegen zu dürfen –

SEYBOLD unruhig. Das ist ja nun abgemacht, Herr Speth.

SPETH. Jawohl, allerdings, und ich freue mich der Ehre –


[565] Frau von Thielen nickt mit dem Kopfe und lächelt höflich.


SPETH. Ich hätte freilich gern noch einiges mit Ihnen beredet –

FRAU VON THIELEN unbehaglich. Ich dachte, Herr Seybold habe Ihnen alles Nötige mitgeteilt.

SPETH. Allerdings – alles nach Wunsch – die Poesien sind großartig, lebendig, genial –


Frau von Thielen sieht Seybold an.


SEYBOLD. Herr Speth!

SPETH fortfahrend. Einige kleine Abänderungen, gleichsam Erläuterungen, wären mir wohl wünschenswert gewesen; Schneller. doch es ist auch so vortrefflich, überaus –

FRAU VON THIELEN. Haben Sie das Herrn Seybold gesagt?

SPETH verwirrt werdend. O nein, nicht im geringsten! Ich dachte nur, wenn Sie mir in Zukunft die Ehre gönnen wollten –

FRAU VON THIELEN. Sie fürchten, daß das Buch keinen Absatz finden wird?

SPETH. Doch nicht, nein!

FRAU VON THIELEN. Sie fürchten Schaden bei dem Unternehmen?

SPETH ganz verwirrt. Oh, der könnte doch nur gering sein; es ist ja nur ein kleines Bändchen, gleichsam eine Bagatelle –

FRAU VON THIELEN feuerrot. Darauf darf ich es doch nicht ankommen lassen. Herr Seybold, wollen Sie die Güte haben, sich das Manuskript wieder auszubitten?

SPETH erschrocken. Gnädige Frau, bitte sehr! Ich bin ja ganz bereit, ganz bereit –

FRAU VON THIELEN sieht über den Tisch hin und nimmt das vor ihr liegende Manuskript. Sie sind sehr gütig, aber Güte soll man nicht mißbrauchen. Freundlich. Guten Morgen! Sie reicht Körbchen und Manuskript dem in der Tür stehenden Bedienten und geht ab mit Seybold, der Spethen einen wütenden Blick zuwirft.[566]


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 565-567.
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