Zwölfte Szene

[562] Speth, Seybold, Ida am Fenster, stickend.


SPETH steht auf und wendet sich zu Seybold. Nun?

SEYBOLD zuckt die Achseln. Ich weiß nichts.

SPETH. Aber er sagte ja –

SEYBOLD verdrießlich. Er ist ein Windbeutel.

SPETH seufzend. Gott, er hält mir gewiß nicht Wort! Was meinen Sie, wird er Wort halten?

SEYBOLD. Oh, ich hoffe es.

SPETH. Sie scheinen mir sehr im Zweifel.

SEYBOLD. Doch eigentlich nicht; Sonderrath ist, wie gesagt, ein bißchen sehr, sehr leichtsinnig, – nun, dafür ist er ein Genie, – aber eine grundehrliche Haut.

SPETH beklemmt. Ich kenne das: »der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach«; mit solchen läuft man aber oft gerade am schlimmsten an.

SEYBOLD. Nein, nein – Sie sollen sehn, die fünftausend Taler brennen ihm jetzt auf der Seele, bis er sie heruntergeschrieben hat; wenigstens hoffe ich das.

SPETH. Sie sind Ihrer Sache keineswegs gewiß.

SEYBOLD. Lieber Herr Speth, ich bin keiner Sache ganz gewiß, außer daß der Himmel heute nicht einfallen wird.

SPETH ängstlich. Es wäre doch ein perfider Streich! Bedenken Sie, fünftausend Taler; ich will Ihnen die Berechnung machen. Erstlich für die Stahlstiche –

SEYBOLD. Tun Sie das nicht, Herr Speth; es ist mir nur verdrießlich anzuhören und ärgert Sie selber.

SPETH. Oh, es ärgert mich alle Tage.

SEYBOLD nachdenkend. Dieses Mal hoffe ich – ja ich hoffe Ihnen doch für Sonderrath stehn zu können; Rascher. denn ich will selbst mein Bestes dazu tun.

SPETH. Haben Sie sich denn schon in dem Fache versucht?

SEYBOLD. Das nicht, so meine ich es nicht; aber ich will direkt von hier nach Mülheim, und dann werde ich doch sehn, ob er mir schreiben soll. Wenn's nicht anders ist, sperre ich ihn in seine eigne Stube ein.[562]

SPETH. Das wär' gewiß sehr gütig von Ihnen. Kleine Pause.

SEYBOLD. Ja, ich will sehn, was zu machen ist. Und nun zu unserm Geschäft! Sie haben doch meine letzte Sendung erhalten?

SPETH. Jawohl – freilich, – die Gedichte von der Dame –

SEYBOLD. Es ist mir sehr daran gelegen, daß die Herausgabe keine Schwierigkeiten findet! Ich habe der Frau von Thielen manche Verbindlichkeit, und sie hat sich schwer zur Veröffentlichung entschlossen.

SPETH beklemmt. Ja, Herr Seybold, da hätten Sie vielleicht besser getan, ihr den Willen zu lassen.

SEYBOLD erstaunt. Wie?

SPETH. Gedichte sind jetzt ein schlimmer Artikel, und vollends Frauenzimmer-Gedichte. Sehn Sie, Er zeigt auf das Paket. eine ganze Legion Krebse: »Das Echo im Felstale« von Claudine Briesen.

SEYBOLD empört. Das ist ja aber auch eine Närrin, ohne das geringste Talent.

SPETH. Sagen Sie das nicht; es klingt und schäumt doch mitunter recht gut. Kleine Pause.

SEYBOLD. Haben Sie etwas von der Frau von Thielen gelesen?

SPETH seufzt. Konfus, konfus!

SEYBOLD erstaunt. Ist's möglich, daß ein Mann wie Sie, der den ganzen Tag sich mit der Literatur beschäftigt, das Talent so verkennen kann? Diese Originalität! Diese genialen Bilder! Diese –

SPETH bedenklich. Mein lieber Herr Seybold, was ich denke, darauf kommt es gar nicht an, sondern lediglich aufs Publikum.

SEYBOLD wegwerfend. Was nennen Sie Publikum?

SPETH gelassen. Was mir die Bücher abkauft und bezahlt. Pause.

SEYBOLD. Glauben Sie, das Unternehmen werde sich nicht rentieren?

SPETH. Ich fürchte.

SEYBOLD nach augenblicklichem Nachdenken. Nein, so etwas[563] Bedeutendes wird durchdringen, muß durchdringen.

SPETH. Nach meinem Tode vielleicht, das glaube ich selbst.


Seybold schweigt verstimmt.


SPETH. Sehn Sie, ich spreche der Frau einiges Talent gar nicht ab –

SEYBOLD verbeugt sich. Das danke Ihnen der Kuckuck!

SPETH. Ein bedeutendes Talent, wenn Sie wollen; aber es scheint ihr auch so gar nichts daran gelegen, ob sie verstanden wird oder nicht. Mit ein paar Worten, mit einer Zeile könnte sie zuweilen das Ganze klar machen, und sie tut's nicht.


Seybold schweigt.


SPETH. Ist's nicht so?

SEYBOLD. Das habe ich ihr auch schon gesagt.

SPETH. Und sie tut's doch nicht! Was ist das? Eigensinn? Ich wette, die Frau ist reich und in glänzenden aristokratischen Verhältnissen.

SEYBOLD. Das haben Sie getroffen.

SPETH. Sehn Sie? Sehn Sie? Die schreibt für ihre Kaste, und wenn wir andern es nicht lesen wollen, so können wir es lassen. Aber damit ist mir nicht geholfen. Kleine Pause. Wenn sie es will auf eigne Kosten drucken lassen –

SEYBOLD schnell. Das geht nicht, das ist schimpflich.

SPETH. Oder wenn sie sich zu einer Umarbeitung herbeiließe –

SEYBOLD. O Jesus! Damit darf ich ihr gar nicht kommen.

SPETH. Ja, was ist dann zu machen!

EIN DIENER kommt. Draußen ist eine Dame, mit einem Bedienten, die nach Herrn Seybold fragt.

SEYBOLD hastig. Gott, das ist sie! Herr Speth, ich bitte, nehmen Sie die Gedichte, wie sie sind; ich will es Ihnen auf irgendeine Weise kompensieren.

SPETH. Ich will es mir überlegen.

SEYBOLD. Nein, Sie müssen sich auf der Stelle entschließen. Was wollen Sie? Gedichte? Rezensionen?

SPETH. Nun denn, Rezensionen.[564]

SEYBOLD. Wie viele?

SPETH. Vierzig.

SEYBOLD. Das ist enorm. Es wird angepocht. Nun ja; in Gottes Namen! aber halten Sie Wort!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 562-565.
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