Sechste Szene

[530] Die Vorigen


CLAUDINE BRIESEN etwas phantastisch gekleidet, einen Hut mit weißen Schwanzfedern und langem Schleier, tritt rasch herein und sagt noch halb in der Tür. Herr Speth ist ja nicht hier? Sie verbeugt sich gegen Willibald und fixiert ihn scharf; dann stellt sie sich ebenfalls an das Büchergestelle und zieht Bücher heraus, ihn immer von der Seite betrachtend.

WILLIBALD. La, la, la, la –

CLAUDINE halblaut. Ah, mein »Echo«, schön! Sie stellt sich in eine theatralische Attitüde und liest.[530]

WILLIBALD blätternd. La, la, la, la –

CLAUDINE halblaut lesend.

Als des Morgens rötlicher Schimmer

Durch das feuchte Dunkel sich brach –

Das feuchte Dunkel

WILLIBALD. La, la, la, la –

CLAUDINE.

Da brauste der Sturmwind noch immer,

Es rauschte der Regen herab

Man hört es ordentlich rauschen!

WILLIBALD setzt ein Buch fort. Schlechtes Zeug!

CLAUDINE.

Es flogen die Wolken, es wälzte der Nord

Durch der Burg hochwölbende Hallen sich fort –

WILLIBALD. La, la, la –

CLAUDINE. Und spielte sanft um die bleiche Geliebte heilige Leiche. Mit Pathos. Um die bleiche, geliebte, heilige Leiche! Und das soll matt sein?

IDA kommt hinter dem Vorhange hervor und setzt einen Schemel vor Claudinen nieder. Gnädiges Fräulein, ich will es Ihnen etwas bequemer machen.

CLAUDINE. Ach sieh, Idachen! Wie geht's, Kind?

IDA. Ich danke Ihnen, so leidlich.

CLAUDINE. Immer so leidlich, was ist das? Mit sechzehn Jahren, da muß man den ganzen Tag flattern und singen wie ein Vogel auf dem Ast. Aber es gibt keine Jugend mehr. Sie zieht sich mit Ida zum Fenster zurück.

WILLIBALD ihr nachsehend, vor sich. Wenigstens nicht bei dir, lieber Schatz.

CLAUDINE leise. Wer ist der Herr?

IDA. Herr Willibald.

CLAUDINE. Der Dichter?

IDA. Jawohl.

CLAUDINE erfreut, leise zu Ida. So? Sie tritt wieder an das Büchergestelle, ganz dicht neben Willibald und nimmt immer die Bücher, wie er sie fortlegt. »Sonderraths Gedichte« – großes Talent.

WILLIBALD sieht sie quer von der Seite an. La, la, la la –[531]

IDA vor sich. Er will noch nicht anbeißen.

CLAUDINE. »Deutscher Eichenhain« – ach, mein lieber deutscher Eichenhain! köstlich!

WILLIBALD aufmerksam werdend. Man spricht verschieden darüber.

CLAUDINE sich rasch zu ihm wendend. Unmöglich! ich habe nur eine Stimme gehört, eine Stimme der höchsten Anerkennung.

WILLIBALD. Hm! es gibt doch hier und dort allerlei Leute –

CLAUDINE. Ach was gibt's nicht alles für Leute! Es gibt Hottentotten und Pescherähs, aber sie gehn uns nichts an.

WILLIBALD nickt beifällig. Gut gesagt!

CLAUDINE. Wenn man den Beifall derjenigen hat, für die man eigentlich schreibt, was bekümmert man sich um Schuster und Schneider, oder solche, die es besser wären!

WILLIBALD lachend. Recht gut!

CLAUDINE. Die wenigsten Menschen stecken doch in den rechten Röcken: der Hase und Löwe tragen ihren Pelz, wie die Natur es ihnen zugeteilt hat und ihre innere Kraft es herauszutreiben vermag –

WILLIBALD. Gut.

CLAUDINE. Aber unter den Menschen trägt zuweilen der geborene Bettler eine Krone und der König aus innrer Kraft den geflickten Rock.


Willibald wirft einen verstohlenen Blick auf die innere Seite seines Ärmels.


CLAUDINE. Sie glauben nicht, welche Empfänglichkeit für Poesie sich oft grade in den niederen Klassen vorfindet. Hastig. Wissen Sie, wem ich Gedichte vorlese? Meiner Magd.

WILLIBALD lachend. Nicht übel; à la Rousseau.

CLAUDINE. Und was für ein Geschöpf! Sie können sich's nicht vorstellen; plump, schläfrig, wie aus Lehm und Stroh zusammengeknetet, das heißt so scheinbar, aber von einer Gemütsfülle, einer Auffassungsgabe, einzig! Schneller. Sehn Sie, zuerst sitzt sie da, noch sehr geniert,[532] wie Sie denken können, ganz feuerrot und blinzelt mit den Augen, wie ein Uhu bei Tage. Aber je länger ich lese, je ernster wird die Physiognomie, Langsam. immer ernster – immer nachdenklicher –; zuletzt schließt sie die Augen halb und sieht dann aus wie eine vom heiligen Dunste betäubte Pythia. Schneller. Es ist wirklich köstlich zu beobachten.

WILLIBALD ironisch. Ja – nun – man müßte das selber ansehn, um es nach seinem Werte zu beurteilen.

CLAUDINE sehr schnell. Wissen Sie was? Kommen Sie morgen früh zu mir oder heute, abends zum Tee. Schlägt sich vor die Stirn, wie sich plötzlich besinnend. Was bin ich doch für ein duseliges Kind! ein verquertes Geschöpf! die Phantasie läuft immer mit mir Karriere. Lachend. Wir kennen uns ja gar nicht; was weiß ich denn weiter von Ihnen, als daß Sie ein Mann von Geschmack sind und meinen lieben »Deutschen Eichenhain« auch liebhaben? Sie sieht Willibalden fragend an.


Willibald verbeugt sich.


CLAUDINE. Nun, wie ist's? Wie machen wir's, daß wir darüber ins reine kommen?

WILLIBALD nachlässig geziert. Ah so! Sie wollten wissen, wer ich bin, ach Gott, ein armer Teufel! ein ordinäres Subjekt, und nebenbei – der »Deutsche Eichenhain«.

CLAUDINE. Ist's möglich! Nein, das ist Geld wert! Kindlich in die Hände klatschend. das ist himmlisch! Nun, eine Offenheit verdient die andere; ich bin – das »Echo im Felstale«.

WILLIBALD verbeugt sich. Fräulein Briesen.

CLAUDINE. Welch ein seltsames Zusammentreffen! Und so lange miteinander zu reden, ohne zu ahnen, mit wem man spricht, das ist köstlich!

IDA für sich. Hat man je so etwas gehört?

CLAUDINE Willibalden die Hand reichend, die er schüttelt. Nun, ich denke wohl, es muß ein eigner sympathetischer Stern sein, der uns hier in Speths Laden Sie sieht umher. hat zusammenführen müssen. Schneller. Notabene, wissen[533] Sie wohl, daß man unsre Gedichte häufig verwechselt?

WILLIBALD räuspernd. Hm! Nein, Fräulein, das habe ich nicht gewußt.

CLAUDINE. O hundertmal, unzählige Male! Noch gestern abend Ihren weißen – Sie stockt und sieht Willibalden an; lachend. Herr Jesus, ich glaube, es ist ihm nicht recht! Ich glaube er will mir nicht gleichen!

WILLIBALD verstimmt. Gnädiges Fräulein, das ist ein unwürdiger Argwohn.

CLAUDINE immer lachend. Gehn Sie nur, ich sehe es Ihnen an den Augen an.

WILLIBALD verwirrt. Gnädiges Fräulein –

CLAUDINE freundlich. I, es ist mir ja nur ein Scherz. Das wird mir ja nicht einfallen. Sie reicht ihm die Hand, die er etwas zögernd nimmt. Wir müssen einander anerkennen; wir sind gleichsam prädestiniert, – ich denke so ungefähr von gleichem Alter.

WILLIBALD überrascht. So? Sich fassend. Ich bin gewiß der ältere.

CLAUDINE ihn argwöhnisch ansehend. Hm, das mag so ungefähr zu einem auskommen; Sie mögen sogar noch um etwas blühender aussehn: Ich habe viel gelitten – viel – viel! Nachdenklich. Ja, meine Gedichte tragen auch die Spuren davon Schwermütig.

»Wie ein Schiff, das hergezogen,

Kämpfend gegen Sturm und Wogen,

Seine stolzen Segel schwellend,

An dem Riffe dröhnt zerschellend.«

Seufzt. Ich darf nicht daran denken!

WILLIBALD fährt mit dem Finger über die Nase. Das ist noch ein glückliches Schiff, das mit stolzen Segeln untergehen kann.

CLAUDINE großartig. Ja, ich habe Kraft, Kraft! Wenn ich die nicht hätte, wo wäre ich dann längst? Seufzend. »Sechs Bretter und zwei Brettchen!«[534]

WILLIBALD lächelnd. Oh, oh, gnädiges Fräulein, nicht gleich so desperat!

CLAUDINE mit Nachdruck. Was ist aufreibender, als innere Öde! und die habe ich empfunden, wie sie mir kein Herz so leicht nachempfinden kann.


Willibald gähnt.


CLAUDINE. Ich habe sehr, sehr einsam gestanden und lange, lange Zeit; oh! Sie versinkt in Träumerei.


Willibald faßt leise nach einem Buche und fängt an zu blättern.


CLAUDINE hastig. Aber ich mag nicht mehr! ich will nicht mehr! Rasch, zu Willibald gewendet. Was meinen Sie? Wir haben uns hier so seltsam gefunden! wollen wir es versuchen, einander aufzurichten? Wollen wir Freunde sein? Ihm die Hand bietend, heiter. Schlagen Sie ein! man muß dem Glücke die Tür öffnen, sonst kommt man seine Lebetage zu nichts. Lassen Sie uns Freunde sein!


Willibald legt verlegen das Buch fort und faßt ihre Hand.


CLAUDINE. Nur resolut!


Willibald schüttelt ihre Hand ein wenig.


CLAUDINE. Sie kommen zu mir, so oft Sie wollen, so selten Sie wollen – bleiben aus, wann Sie wollen; wir plaudern, nehmen eine Tasse Tee und nachher ein bescheidenes Abendbrot. Willibalds Gesicht erheitert sich.

CLAUDINE fortfahrend. So ganz einfach, Poetenkost: eine Suppe, ein Salat, ein Hühnchen – Sie teilen mir Ihre neuesten Produkte mit – nun? Ist's so recht? Sollen wir es versuchen?

WILLIBALD ihre Hand kräftig schüttelnd. Herzlich gern, und möge der Himmel geben, daß ich Ihnen von einigem Tröste und Nutzen sein kann.

CLAUDINE kindlich. Nein, das ist himmlisch! nein, wie freue ich mich darauf! nein, das wird köstlich werden! Und wissen Sie was? gleich heute soll meine Franziska vor Ihnen debütieren! das ist ein psychologisches Experiment, was Sie sich nicht dürfen entgehen lassen. Ich lese ihr mein letztes größeres Gedicht vor –[535]

WILLIBALD einfallend. Erlauben Sie, ich werde mein »Hermann und Thusnelde« mitbringen, da können wir sehn, welche Eindrücke die Hexameter auf sie machen; das muß sie ungeheuer anregen, dies Steigen – und Wogen –

CLAUDINE einfallend. O gewiß, herrlich, einzig! Zuerst lese ich einige kleine Gedichte aus dem »Echo« –

WILLIBALD einfallend. Ja, einige kleine, und dann mein Trauerspiel.

CLAUDINE. Ja, ja, so mag's sein. Lachend umhersehend. Wie seltsam! hier in diesem trocknen Geschäftsbüro, wo einem die Rechnungen gleichsam andunsten, müssen zwei poetische Naturen sich sehen, finden und aneinander schließen zum Schutz und Trutz! Wissen Sie was? Ich gehöre gar nicht zu den Frauen, die sich vor Freundschaften mit Männern fürchten.


Willibald lacht.


CLAUDINE. Das ist nur Torheit, Mangel an innerer Freiheit. Was geht es mich an, ob meine Schwesterseele einen Bart trägt oder nicht? Oh, ich habe Sie doch sogleich erkannt, ich bin eine gute Physiognomin.

WILLIBALD. Sie wußten, wer ich bin?

CLAUDINE. I bewahre! Ihren Geist meine ich, Ihre Seele; Auf seine Stirn deutend. in diesen kleinen Fältchen da habe ich gleich gelesen.


Willibald fährt sich über die Stirn und wirft einen verstohlenen Blick in den Spiegel.


CLAUDINE lachend und mit dem Finger drohend. Ja, streichen Sie nur, ich habe Sie nun doch mal weg. Seufzend. Ach Gott, es ist nicht zum Lachen, man bekommt die Falten nicht von Vergnüglichkeit: ich weiß auch, was es heißt, sich auf Leben und Tod mit dem Schicksale herumschlagen ... Hastig. Notabene! Haben Sie die Rezension im Abendblatte gelesen!

WILLIBALD verlegen. Welche?

CLAUDINE. I nun, die – von dem kleinen Pferdchen mit den langen Ohren, dem Seybold.[536]

WILLIBALD verdrießlich. Nein, ich habe keine Zeit, schlechtes Zeug zu lesen.

CLAUDINE verächtlich. Hm, ich auch nicht, aber dieses ist was Infames.

WILLIBALD bitter. Warum lesen sie was Infames?

CLAUDINE. Ach! man hat mich so dazu gebracht, durch einen anonymen Brief, von irgendeiner dummen Seele, die das Ding nicht kapiert hatte. Hören Sie, – doch nein, es ist eine lange, einfältige Geschichte; kurz, ich habe es gelesen, – aber ich lache nur darüber.

WILLIBALD. Es verdient auch nichts anderes.

CLAUDINE. Hm, meine Gedichte sind wohl so gut als alles, was der Herr Seybold schreibt! Die braucht er keinen aufgespreizten Reifrock zu nennen, wo nichts darunter steckt als Haut und Knochen, – Mensch ohne die geringste Delikatesse! Er sollte noch einen preußischen Taler darum geben, wenn er so schreiben könnte.

WILLIBALD erleichtert. Ich habe die Rezension in der Tat nicht gelesen.

CLAUDINE heftig. Lesen Sie sie, ich bitte, lesen Sie sie, und dann geben Sie ihm tüchtig eins drum.

WILLIBALD. Ich?

CLAUDINE. Hauen Sie ihn, mir zu Gefallen, daß er die bittre Angst kriegt, und in demselben Blatte.

WILLIBALD. Fräulein –

CLAUDINE immer heftiger. Sie können's nicht zu arg machen; ich wollte, er müßte springen wie ein Seiltänzer, vor Angst, der Lumpus!

WILLIBALD. Aber ich schreibe fast nie Rezensionen.

CLAUDINE. So machen Sie dieses Mal eine Ausnahme, mir zuliebe und in demselben Blatte, daß der Mensch sich nicht anstellen kann, als hätte er es nicht gelesen, der Schlingel!

EINE STIMME draußen. Ach so, ich will warten.

CLAUDINE. Gott, das ist die Austen.

WILLIBALD. Wer?

CLAUDINE. Frau von Austen, ein fataler Blaustrumpf du[537] bon vieux temps; Vergißmeinnicht, – Klopstock. – Es ist schauderhaft! vielleicht erkennt sie mich nicht, sie ist etwas blind. Es wird angeklopft.


Claudine wendet sich gegen das Büchergestelle und kramt darin umher. Willibald setzt sich an den Tisch und mustert die Journale, die er auf den noch unbepackten zweiten Stuhl neben sich legt.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 530-538.
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