5. Höhlenfei

[449] Siehst du drüben, am hohlen Baum,

Ins Geklüfte die Schatten steigen,

Überm Bord, ein blanker Saum,

Leises Quellengeriesel neigen?

Das ist die Eiche von Bagnères,

Das ist die Höhle Trou de fer,

Wo sie tags in der Spalten Raum,

Nächtlich wohnt in den surrenden Zweigen.


O, sie ist überalt, die Fei!

Laut Annalen, vor grauen Jahren,

Zwei Jahrhunderten oder drei,

Mußte sie seltsam sich gebaren:

Bald als Eule, mit Uhuhu!

Bald als Katze und schwarze Kuh,[449]

Auch als Wiesel, mit feinem Schrei,

Ist sie über die Kluft gefahren.


Aber wenn jetzt im Mondenschein

Zarte Lichter den Grund betüpfen,

Sieht mitunter man am Gestein

Sie im schillernden Mantel hüpfen,

Hört ihr Stimmchen, Gesäusel gleich;

Aber nahst du, dann nickt der Zweig,

Und das Wasser wispert darein,

Und du siehst nur die Quelle schlüpfen.


Reich an Gold ist der Höhle Grund,

O, wie Guinea und wie Bengalen!

Und man spricht vom bewachenden Hund,

Doch des melden nichts die Annalen;

Aber mancher, der wundersam,

Unbegreiflich zu Gelde kam,

Ließ, so kündet der Sage Mund,

Es am Baum von Bagnères sich zahlen,


Barg einen Beutel im Hohle breit,

Drin den neuen Liard, bedächtig,

Recht in der sengenden Mittagszeit,

Die den Geistern wie mitternächtig,

Fand ihn abends mit Gold geschwellt, –

O, kein Christ komme so zu Geld!

Falsch war Feiengold jederzeit,

Kurz das Leben, und Gott ist mächtig.


Einmal nur, daß mich des gedenkt,

Ist ein Mann an den Baum gegangen,

Hat seinen Sack hinein gesenkt,

Groß, eines Königes Schatz zu fangen;

's war ein Wucherer, war ein Filz,

Ein von Tränen geschwellter Pilz;[450]

Nun, er hat sich zuletzt gehenkt, –

Besser hätt' er schon da gehangen!


Hielt die Lippen so fest geklemmt,

– Denn Geflüster nur, mußt du wissen,

Das ist eben, was alles hemmt,

Lieber hätt' er die Zunge zerbissen; –

Barfuß kam er, auf schlechten Rat,

Und als da in die Scherb' er trat,

Hat er sich nur an den Baum gestemmt

Und den Schart aus der Wunde gerissen;


Doch als aus dem Gemoder scheu

Schlüpft 'ne Schlange ihm längs den Haaren,

Da ist endlich ein kleiner Schrei,

Nur ein winziger, ihm entfahren;

Und am Abend? – verschwunden war

Großer Sack und neuer Liard.

O, verräterisch ist die Fei!

Und es wachen der Hölle Scharen.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 449-451.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon