CXII.

Sonderbare Antipathien bey Personen von einem erhabenen Rang und Verdiensten.

[242] Die Gelehrten, die einigen Ruhm erworben haben, ziehen die Aufmerksamkeit des Publici durch ihre Wissenschaften, und die Grossen durch ihre Posten, die sie begleiten, an sich. Man hat auch so gute Nachrichten von ihren besondern Umständen, daß man mancher Souveränen ihre Privat Lebensart ganz wohl kennet. Fast jedermann weis, daß Jacob II König von Engelland keinen blosen Degen sehen konnte ohne bleich zu werden, und in eine Art einer Ohnmacht zu fallen: daß der alte Herzog von Epernon, der Henrich III. sein ganzes Aufnehmen zu danken hatte, bey dem Anblick eines jungen Haasens in Ohnmacht fiele; daß Henrich III. selbst in keinem Zimmer allein bleiben konnte, wo eine Katze war; aber die, welche neugierig sind dergleichen Beyspiele von sonderbaren Antipathien zu sammeln, wissen auch ganz wohl: daß Erasmus keine Art von Fischen nahe bey sich dulten konnte, ohne das Fieber zu bekommen; daß Scaliger keinen Brunnkreß starr ansehen konnte, ohne am ganzen Leib zu zittern; daß Ticho-Brahe die Farbe veränderte und ihm seine Füsse niederfallen wollten, wenn ihm ein Haas oder ein[243] Fuchs begegnete: daß Hobbesius, wenn er bey der Nacht nur einen Augenblick lang ohne Licht war, fast sogleich aberwitzig wurde: daß Bacon, wie ich hier schon erwähnet habe, so oft eine Mondsfinsterniß einfiele, jedesmal ohnmächtig wurde; daß Boyle Zuckungen bekame, wenn er das Geräusch hörte, welches das Wasser, das zu einem Hahn heraus lauft, machet: daß la Mothe le Vayer, dieser sceptische Weltweisse, keine einzige Art eines Instruments und wenn die Töne desselben noch so wohlklingend waren, leiden konnte, im Gegentheil aber bey dem Schall des Donners, und dem Sausen eines heftigen Windes ganz entzücket war etc.


Die philosophischen Transactiones erwähnen eines Capellans bey einem Herzog von Bolston, der in seinem Herzen und auf dem Wirbel des Haupts eine ausserordentliche Kälte empfande, wenn man ihn nöthigte, das drey und funfzigste Capitel aus dem Propheten Jesaias und einige Verse aus dem Buch der Könige zu lesen.


Eben so merkwürdig ist dasjenige, was Fabricius Campani von einem gewissen Ritter von Alcantara schreibet: diesem Edelmann wurde es übel, wenn er das Wort Wolle (Lana) aussprechen hörte, ob er gleich öfters wollene Kleider truge. Alle diese Dinge sind unstreitig ausserordentlich sonderbar, wir wollen uns aber doch hüten,[244] nicht sogleich alles dasjenige zu verwerfen, was über den engen Kreis unserer Einsichten hinaus gehet. Wir setzen der Natur nur gar zu oft die nämlichen Gränzen, in welche unser Verstand eingeschränket ist. Wir eignen ihr unsere kurzen Einsichten zu, und wenn es auf uns ankäme, so würde die Natur so schwach in ihren Wirkungen als unser Verstand in Begriffen seyn.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 242-245.
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