LXXXVIII.

Von der Herrschaft der Seele einiger Personen über solche Werkzeuge des Leibes, deren Handlungen gewöhnlicher massen dem Willen nicht zu unterworfen seyn pflegen.

[193] Wie vielerley Veränderungen zeiget nicht die Natur in den muskulmäßigen Bewegungen unserer Theile! An einem Ort sind wir im Stand diesen oder jenen Theil so wie es uns beliebt, zu bewegen, an einem andern Ort können wir manchen Theilen nicht die geringste Bewegung beybringen: es stehet uns frey die Bewegung und Wirkung unserer zum Athemholen dienlichen Werkzeuge nach unseren Willen zu hemmen oder zu befördern; es stehet aber nicht eben so wohl in unsern Kräften, das Spiel der zur Verdauung bestimmten Eingeweide[193] auf gleiche Art zu hemmen. Weder das Herz noch die ganze Verfassung der daselbst befindlichen Gefässe sind dem Willkühr unsers Willens unterworfen; es giebt inzwischen einige Beyspiele, die zu beweisen scheinen, daß sich die Herrschaft der Seele über den ganzen Umfang aller Theile, wie solche Namen haben mögen, erstrecke, und daß man die Unvermöglichkeit über die Bewegung und Wirkung einiger Theile, blos dem Mangel der Gewohnheit zuschreiben müsse. Es wird hier in der Folge von einem Officier geredet werden, der die Ohren bewegte wann er wollte. Einer meiner Freunde hat einen Ordensgeistlichen gekannt, welcher wiederkäuen konnte. Es giebt Leute, die sich ohne viele Beschwerniß brechen können wann sie wollen: aber der von dem Herrn Doctor Cheyne angeführte Fall, ist noch weit besonderer. Dieser Schriftsteller redet von einem Hauptmann Namens Townshend, der die Bewegung seines Herzens nach seinem Gutbefinden hemmte. Er machte einstmalen in Gegenwart des Herrn Cheyne und zweyer seiner Freunde, einen Versuch hievon: er fiel wie tod ohne Athem und Puls nieder. Da er nun ziemlich lang in diesem Zustand verbliebe, so entsetzten sich die Zuschauer, und befürchteten, daß Herr Townshend wirklich tod seyn möchte, und machten schon Anstalt sich aus dem Zimmer wegzubegeben, als der vermeintliche Tode, welcher[194] vermuthlich ihre Unterredung mit angehöret hatte, seinem Herzen die Bewegung wieder gabe, und sich gleich darauf wieder in seiner gewöhnlichen Verfassung zeigte.


Der Umstand, welchen der H. Augustinus in seinem Buch von der Stadt Gottes erzählet, scheinet ebenfalß sehr besonders zu seyn. Ein Priester, Namens Restitutus, aus dem Kirchspiel von Calame, konnte, wie dieser heilige Doctor saget, sich so oft als er wollte, in einen der Beschaffenheit eines toden Menschen vollkommen ähnlichen Zustand versetzen; man mochte ihn alsdann schlagen, stechen, ja so gar brennen, so zeigte sich nicht die mindeste Empfindung an ihm, ja man fande nicht einmal eine Spur des Athemholens an ihm, er bemerkte auch nicht einmal daß man ihn gebrannt hatte, als ohngefähr aus den davon zuruckgebliebenen Narben; kurz, er hatte eine solche Herrschaft über seinen Körper, daß er sich, wenn man ihn darum ersuchte, in kurzer Zeit, den gänzlichen Gebrauch seiner Sinnen benehmen konnte.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 193-195.
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