XCIX.

Eine andere Frau starb an der Wasserfurcht, weil sie von ihren andern Gefährtinnen in einem Gewölb allein zurück gelassen wurde.

[207] Eine Frau eines Schusters, die an einem Abend von ihren Gefährtinnen in einem Gewölb allein zurückgelassen wurde, in welchem sie lederne[207] Häute gewaschen hatten, wurde dadurch so sehr ausser sich gebracht, daß sie in diesem Augenblick, das ganze Gewölb in Feuer stehen, den Fluß aus dem Ufer tretten, das Schiff, in welchem sie war, unterzusinken zu sehen, und ihr Leben in der grösten Gefahr zu stehen glaubte, nachdem sie sich von ihrer Furcht in etwas erholet hatte, kam sie wieder zu sich; man bot ihr bey ihrer Ankunft etwas Wein an; den sie an statt ihn anzunehmen, vielmehr mit dem grösten Entsetzen ausschluge; man verwunderte sich darüber, und befragte sie um die Ursache dieses Abschlages, sie gab keine Antwort, endlich nahm sie auf vieles Bitten und Flehen, daß sie doch trinken mögte, den Wein in Mund; wäre aber beynahe daran ersticket; man versuchte ihr Brühe und Wasser zu geben, es war aber alles einerley. Sie entsetzte sich für einem jeden Getränk. So bald sie nur etwas flüßiges sahe, so verfiel sie in den jämmerlichsten Zustand. Auch so gar die Luft verursachte ihr, wenn solche ein wenig in Bewegung war, die schlimsten Zufälle; das besonderste dabey war, daß sie niemals ihren Verstand verlohre; sie hatte alle Tage ihre vollkommene Vernunft, bis an den achten Tag ihrer Krankheit, da sie sturbe. Welche erstaunliche Wirkung der Furcht, welche Zerstöhrung in den Werkzeugen der Denkungstraft!


Felix Platerus, observ. Lib. I.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 207-208.
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