Zehntes Buch

So warfen die Gedanken, wie ein Orkan das Meer,

Mein Herz, in stetem Kampfe, gewaltsam hin und her.

Ich konnte nicht mehr fliehn, der Zwang ward mir verhaßter,

Und was ich um mich sah, verführete zum Laster;

Nur schwach bestritt die Unschuld den Aufstand der Begier,

Und selbst die heiße Liebe der Tugend starb in mir.

Ach! seufzt ich oft in mir, ach! die Tyranninn Tugend,

Streut nichts, als Sorgen aus, und schleppet unsre Jugend,

Vielleicht durch Vorurtheile, aus Neid, und Eigensinn,

In unsern Blumenpfaden auf lauter Dornen hin!

Ists Ruhm, in seiner Brust, Natur, dich zu bekriegen?

Worinn besteht der Ruhm? – In Pein, und Misvergnügen.[93]

Vielleicht ersann das Alter, das nun der Lust entschlief,

Uns Jünglinge zu quälen, den künstlichen Begriff;

Und Greise hießen uns, die uns ihr Glück misgönnen,

Unschuldge Freude fliehn, die sie nicht fühlen können!

Oft schlug mein Blut von Hitze, die ich sonst nie gefühlt;

Dann wünscht ich sie auf Kosten der Tugend selbst gekühlt.

Mein Herz schwoll stürmisch auf, und pochte nach Zephisen,

Und fluchte oft dem Trotz, den ihr mein Stolz bewiesen.

O! hätte mich das Schicksal damals so sehr gehaßt,

Cephisen mir zu bringen: ich hätte sie umfaßt;

Ich wäre demuthsvoll, von kühner Wollust trunken,

Unmännlich, und beschimpft vor ihr dahin gesunken.

Oft, gieng ich, sie zu suchen, ein Opfer der Begier;

Allein, die guten Götter verbargen sie vor mir.

Einst folgt ich meiner Wuth, die der Tumult empörte,

Als ich den wilden Tanz von fern her stürmen hörte.

Die Schatten wurden tiefer, der Schauplatz der Natur

Floß dunkel in einander, und schlummernd schwieg die Flur,

Da mich der ferne Schall, dem ich zu folgen dachte,

Weit von dem Tempel fort, in ein Gebüsche brachte.

Ein Schaur, der mit der Kühlung dem dichten Wald entfloß,

Und den der wildre Schatten der Nacht herunter goß,

Indem sie mich empfing, lief über meine Glieder;

Ich bebte schüchtern fort, und warf die Augen nieder,[94]

Bis ich durch enge Pfade, den Nymphen nur bekannt,

Von meiner Furcht gejaget, vor einer Grotte stand.

Ich hielt sie für den Sitz der Nymphen, oder Götter;

Die Rebe schlung um sie den Schutz der breiten Blätter.

Ich stand, und sah die Gegend, in der ich mich verlor;

Der Schauplatz wurde heiter, und Phöbe stieg empor.

Ich sah ihr Silberlicht auf regen Wellen spielen,

Und Schatten, die ins Thal von alten Mauren fielen.

Ich nahte mich voll Ehrfurcht dem heiligen Ruin,

Den halb die Nacht verfinstert, und halb der Mond beschien;

Ein wild, und grob Gemisch von Finsterniß, und Lichte;

Gigantisch wallte hier der Schatten einer Fichte

Weit hin ins Thal geworfen, so oft ein Westwind ging,

Und ihr Gesträuch bewegte, das um die Mauren hing.

Es deckte manche Wand, hier ganz und dort zerrissen,

Mehr, als das halbe Thal, mit tiefen Finsternissen;

Da eines Thurmes Schatten bis an der Berge Wand

Die lange Fläche schwärzte, sich bog, und aufwärts stand.

Die Pfeiler, die zu schwach, ihr Haupt empor zu tragen,

Den Schutt kaum übersahn, hier hingen, und dort lagen,

So mancher Rest von Säulen, verstümmelt, abgekürzt,

Manch umgekehrte Krone, vom Stamm herabgestürzt;

Manch hängendes Gesims, das seine Last beschwerte,

Der Pfost, der hingestürzt, den Fuß gen Himmel kehrte,[95]

Der ganze Schutt von Steinen, den ich hier vor mir fand,

Bezeichnete die Stelle, wo sonst der Tempel stand.

Ein süßes heiligs Graun floß sanft durch meine Glieder:

Tiefsinnig warf ich mich auf eine Krone nieder,

Die Zufall oder Bosheit dem Säulenstamm geraubt,

Und stützt auf ihrem Fuße in meine Hand mein Haupt.

Der Busch, der mit Geräusch hoch von den Mauren wallte,

Das Echo, das des Bachs Gemurmel wiederhallte,

Das blasse Licht, das Phöbe durch Felsenrisse goß,

Das auf der Quelle tanzte, die rieselnd niederfloß;

Das schläfrige Geräusch sich regender Gebüsche,

Des Lichtes, und der Nacht romantisches Gemische,

Ernährte meinen Tiefsinn; bis der Gedanken wich,

Und langsam meine Nerven der Schlummer überschlich.

O! holder Gott des Schlafs! nie hat von dir verschicket!

Die Glücklichsten der Welt ein süßrer Traum entzücket!

Ja, dieser Ort war heilig, hier wohnt noch unsichtbar,

Ein Gott bey seinem Schutte von Tempel, und Altar!

Dem Tempel, den vielleicht, nichts von dem Gott zu wissen,

In ihrer Raserey Bachanten eingerissen:

Weil hier ihr Busen pochte, und eine Macht empfand,

Von deren stillen Schrecken ihr Haar gen Himmel stand.

Vielleicht stand vormals hier, als noch der Göttinn Ehre

In Paphos heilig war, der Altar der Cythere.[96]

Vielleicht hat mich die Göttinn, mit unsichtbarer Macht,

Der Wollust weggerissen, und selbst hieher gebracht.

O! welch ein Gott es sey, von dem mein Traum erschienen,

So seyd von mir geehrt, ihr heiligen Ruinen!

Es steig aus diesem Schutte, wo sich sein Sitz verlor,

Ein neuer ewger Tempel zu seinem Dienst empor!

Mein Traum versetzte mich in jene Myrthenschatten,

Die zu Cyther uns sonst so oft umarmet hatten.

In angenehmen Tiefsinn der Liebe saß ich da,

Als ich in aller Schönheit Themir erscheinen sah.

Wie schlug, bey jeglichem von ihren süßen Blicken,

Mein tief durchdrungnes Herz von Liebe, und Entzücken!

Nicht schöner kam Aurore (wenn sie den stärkern Strahl

Der Gottheit von sich legte) zum Cephalus ins Thal;

Nicht stärker fühlt Adon, wenn Cypris ihn entzückte,

Und ihren Rosenmund auf seine Lippen drückte.

Ich wollte mit ihr zürnen; ohnmächtiger Versuch,

Den ein entzückend Lächeln so gleich zu Boden schlug!

Jetzt sah ich einen Pfeil, mit angenehmen Schrecken,

Den ihre Hand geschickt, in meinem Busen stecken;

Ach! Amor, rief ich seufzend, ach! räche meinen Schmerz;

Und sie ergriff den zweyten, und stieß ihn in ihr Herz.

Dann floß der erste Traum in schönre Bilder über,

Und jedes Bild der Lust gieng mir noch einst vorüber.[97]

Ich sah, bey meiner Schönen, die Unordnung, den Zwang,

Die schöne Furcht der Unschuld, die mit der Liebe rang,

Das Herz, von Kampfe voll, das Aug auf den Begleiter

Mit Zärtlichkeit gewandt, und wie der Himmel, heiter;

Ich fühlt aus ihrer Hand, die meine Hand umschloß.

Wie jeder Druck Entzückung in meine Seele goß;

Die Trieb in ihrer Brust geriethen ins Gedränge,

Die Liebe suchte Luft, das Herz ward ihr zu enge.

Ich sahe, ach! ich sahe den tugendhaften Streit,

Die mächtige Verwirrung, die schöne Aengstlichkeit;

Ich sah die volle Brust, mit ungestümerm Wallen,

Voll Leidenschaft für mich, sich flüchtig blähn und fallen.

Und fühlte die Entzückung, mit der ich sie umfing,

Und in dem langen Kusse an ihren Lippen hing.

Wie schlug mein volles Herz, als ich vom Traum erwachte;

Themire, was ich sah, Themire, was ich dachte!

Mein schlummerloses Auge, lief voller Neubegier,

Vom Traume hintergangen, und suchte sie noch hier,

Mich dünkt, ich fühlte noch, da mich der Morgen weckte,

Die Wunde, wo der Pfeil in meinem Busen steckte!

Das Traumbild von Themiren, ihr seelenvoller Blick,

Rief wachend alle Liebe in meine Brust zurück.

Ja, rief ich, sie ist treu; nie hätte mir Cythere

Den süßen Traum gesandt, wenn sie ihr treulos wäre![98]

Du Mutter der Entzückung, der süßen Harmonie

In Unschuld vollen Seelen, o! sprich, wo find ich sie!

Ach, willst du, daß ich sie in Paphos wieder suche?

Dem Ort, der dich entehrt, dem Ort, den ich verfluche?

Wünsch ich sie da zu finden? nein! große Göttinn, nein!

Sie wäre nicht Themire, nicht werth geliebt zu seyn!

Ein niedrer Geist entweiht den schönsten Bau der Glieder;

Unschuldig gieb sie mir, sonst wünsch ich sie nicht wieder!

Themire – Ach! ihr Götter, wenn jemals sich in ihr

Die Scham vergessen könnte, was würde wohl aus mir?

O! wenn auch dann der Kampf mein Herz zerreissen sollte,

Verachten sollt es sie, wenn es nicht hassen wollte!

Wo wandelt jetzt die Schöne, und wo beseelt der Strahl

Aus ihrem schönen Auge ein Blumenloses Thal?

Wo eilt ihr leichter Fuß, wo sammlet sie von Sträuchen

Sich Rosen, die nicht halb der Schönen Wangen gleichen?

Wo bricht sie jetzt das Veilchen, das an dem Busen nicht

So süße Düfte athmet, als sie, indem sie spricht?

Doch sie verschönert wohl vielleicht noch keine Scene!

Aurora schlummert noch, noch schlummert meine Schöne.

Ihr Götter, schicket Freude, und Ruh in das Revier,

Das diesen Schatz verwahret, und einen Traum von mir!

Ach! aber pflügt sie jetzt, auf Gunst von Fluth und Wetter,

Das ungetreue Meer, so schützt sie, all ihr Götter[99]

Der Tiefen, und der Winde! ein günstiger Zephyr

Beflügle sanft die Segel, und führe sie zu mir!

Gebieth, o Gott des Meers, daß mit der theuren Beute

Das flügelschnelle Schiff sanft auf der Fläche gleite!

Vielleicht hebt ihren Busen, in süßer Harmonie,

Für mich jetzo ein Seufzer, wie meine Brust für sie.

Ach! aber wenn vielleicht ihr Auge andern scherzet?

Gedanke, der auf eins die ganze Seele schwärzet!

Zu lang war dir die Ruhe, die ihr ein Traum gebracht,

Du kömmst, sie zu verfinstern, und kehrst die Freud in Nacht.

O! Göttinn, deren Stern, der jetzt dem Morgen winket,

Noch freundlich auf mich strahlt, eh er hinunter sinket,

Befiehlet seine Stunde ihm wieder, aufzugehn,

So laß ihn bey Themiren auf mich herunter sehn!


Quelle:
Johann Jakob Dusch: Der Tempel der Liebe, Hamburg und Leipzig 1757, S. 90-100.
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