XXXIII. Brief

An Fanny

[63] Vor allem, Fanny, muß ich Dir den ersten Saz deines Briefs beantworten. Ist es wohl meine Schuld, wenn sich eine Art avantürischer Hang in meiner Einbildung festgesezt hat? – Mich deucht, jeder Mensch reitet sein Stekkenpferd, und das ist nun gerade das meinige. Ich würde diesen Hang ganz unterdrükken lernen, wenn mich nicht mein abwechselndes Schiksal darinn bestärkte. Wäre ich zu einem ruhigen, einfachen Leben bestimmt, so würde sich mein flüchtiger Geist nach und nach legen, so aber wird er durchs Reisen und durch die vielen unwillkührlichen Abänderungen genährt. Wenn meine Ahndung wahr spricht, so wartet auf mich eine gewaltig unruhige Zukunft. Wer nicht Meister über seine ökonomischen Umstände ist, der muß sich in der Welt wie ein Ball herumwerfen lassen; und dann bei solchen Lagen, wohl dem Mädchen, das Grundsäzze hat! Daß es so viele böse Menschen in der Welt giebt, habe ich, wie mich dünkt, schon bemerkt; es wird Unglük genug für mich seyn, wenn ich in der großen Welt die wenigen guten eben nicht finde. Ob ich nun meine Schiksale gelassen und vernünftig durchwandern werde – das weis Gott; aber daß meine Schwachheiten nicht zu Bosheiten ausarten sollen, dafür steh ich. –[63] Dann müßte mich alles Gefühl meiner Erziehung verlassen haben, und der Gedanke an eine Freundin nicht mehr in meinem Herzen wohnen, die so nachsichtsvoll mich von jedem Irrwege zurükrufen würde. Mein phantasirender Vetter schreibt mir jezt eben so phantasirende Briefe, und ich gesteh es, seine Schwärmerei ist für mich anstekkend. – Ich bin nun schon einige Wochen hier; der Abschied von meinem Vater war mir diesmal äußerst drükkend; ich weinte bitter, und doch riß mich die Nothwendigkeit von den Meinigen weg; Nothwendigkeit ist ein gräßlicher Tirann unter den Menschen, sie trennt die beßten Geschöpfe. – Ich stieg so traurig, so schluchzend in den Postwagen, daß meine Reisegefährten, die schon im Wagen saßen, darüber stuzten. – Ich fühlte mich zwo Stunden lang äußerst fremd unter dieser Gesellschaft, und mein Herz wollte sich durchaus nicht der Freundlichkeit öffnen, mit der mir alle diese Leute begegneten. Ich weis nicht, war es Zagheit; genug ich war den ganzen Tag für alles kalt, was um mich vorgieng. Die Gesellschaft bestund aus einem Frauenzimmer, zween jungen Offiziers und einem Juristen. Man schäkkerte, lachte, philosophirte, moralisirte durcheinander bis es dunkel ward. Ich blieb bei allem dem stumm, und würde es ferner geblieben seyn, wenn mich der Wohl stand nicht zum Danken genöthigt hätte, indem der Wagen stille hielt, und mich gleich darauf der eine Offizier heraushob. Jezt gieng alles ins Posthaus, das Mädchen an der Seite des einen Offiziers, und ich mit meinem Nachbar, der mir um vieles schüchterner zu seyn schien, als sein Reisegesellschafter. – Man aß, man trank, und während als ich mit meinem Nachbar und mit dem Juristen schwazte, verlor sich jener Offizier mit unserer Reisegefährtin und kamen beide nach einer halben Stunde sehr zerstört zur Gesellschaft zurük. Was zwischen ihnen unterdessen vorgegangen, mag der Göttin der Wollust besser bekannt seyn,[64] als mir. Das Mädchen schien mir an das löbliche Handwerk schon ziemlich gewöhnt, denn sie schäkkerte mit einer Frechheit, die mich erzürnte; doch dünkte sie mich dabei äußerst arm, und eben darum entschuldigte ich sie mit einer Duldung, die jeder Vernünftige seinem Nebenmenschen schuldig ist. Endlich fieng der Postillion an zu blasen, wir stiegen wieder in den Wagen, und rollten so die ganze Nacht durch fort. An meiner Seite saß jezt der stürmische Krieger, dem es vermuthlich nach etwas Neuem gelüstete, weil es ihm an seiner ersten so leichten Eroberung schon zu ekkeln schien. Es war dunkel, und was braucht es mehr um das Zügellose eines solchen Geschöpfes zu reizen? – Der Ritter fieng an, an meiner Seite unruhig zu werden, und zwar so unruhig, daß ich, um mich vor ihm zu sichern, ihm seine neugierigen Hände fast blau zwikte. Schreien wollt ich nicht, denn das schien mir zu affektirt, zu heldenmäßig, und plagen wollt ich mich doch auch nicht lassen; also was glaubst Du wohl, daß ich in dieser kritischen Lage that? – Ich nahm ein Paar Steknadeln zu Hülfe, und peinigte seine Hände so, daß er heimlich darüber zu allen Teufeln fluchte. Das Schnaufen, das Geräusche der Kleider mußten einige im Wagen bemerkt haben, denn die Dirne fieng helllaut an zu lachen und wollte eben zotigte Anmerkungen darüber machen, als der andere sanftere Offizier sich meiner annahm und sagte: Bruder, laß mir deinen Plaz und nimm Du den deinigen wieder; denn gleich und gleich gesellt sich gerne. – Nun wechselte man die Pläzze; ich verkroch mich in eine Ekke des Wagens und hütete mich sehr meinem neuen Nachbar nur mit einem Finger zu begegnen. Zwo Stunden vergiengen ganz ruhig, alles schnarchte wieder, nur ich und mein Nachbar schliefen nicht. Durch ein Ungefähr erhaschte er meine Hand, hielt sie fest und drükte sie an seine Lippen. Mir fieng bei diesem neuen Sturm an bange zu werden; doch als ich merkte, daß[65] er sehr mit sich selbst kämpfte und nicht so unverschämt wie der andere war, schlief ich ruhig ein. – Aber wie das zugieng, weis ich nicht; – genug, als ich erwachte, fand ich, daß mein Kopf an seinen Busen gelehnt war. Ob mich nun das fatale Stoßen des Postwagens in diese Stellung gebracht, oder ob der junge Herr mich im Schlafe selbst hinzog; – ist mir unbewußt. – Doch schlief ich in dieser Lage ruhig und süß, und, wenn ich mich nicht irre, so träumte mir's, als ob mich mein Nachbar im Schlafe recht sanft geküßt hätte. Wir Mädchen sind doch närrische Dinger; nichts reizt uns mehr, als wenn die Männer sanft genug sind, mit ihren eignen Trieben recht lange zu kämpfen und mit uns recht platonisch zu schwärmen. Fanny, löse mir doch dies Räthsel in deiner Antwort auf; ich bitte Dich darum. – Auf diese Art also verstrich der erste Tag meiner Reise, und für heute nichts weiter mehr, als lebe wohl! –


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 63-66.
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