L. Brief

An Fanny

[124] Wie wirst Du aufspringen vor Wuth, meine Fanny! wenn Du hören wirst, was seither mir begegnete! – Die unbarmherzigste, gräßlichste Handlung ist nun an mir vollendet! – Von jenem geistlichen Vetter vollendet, der mich aus Rache verstoßen, hülflos, ohne Geld, der Verführung, dem Elend und der großen Welt Preis gab! – Schröklich wird der Richter einst von ihm Rechenschaft fodern für eine junge Seele, die er auf eine so niederträchtige, schlechte Art in die Welt hineinstieß. – Die Verzweiflung mag nun aus mir machen, was sie will, so geht es auf Rechnung dieses Ungeheuers, der mich gewissenlos und heuchlerisch von sich entfernte. Er hat die Pflichten der Menschheit leichtsinnig zerrißen, er ist meineidig geworden an meinem Oheim, er hat an Gott und an mir ein Verbrechen begangen, das man nur bei Barbaren und nicht unter gesalbten Christen suchen würde. Sein Groll, die Anstiftung seiner Haushälterin, die gute Gelegenheit mich mit einer schiklichen Ausrede vom Halse zu bringen, alles half dazu, seine giftigen Anschläge zu erfüllen. – Sie waren gut ausgesonnen, diese Schlingen der überdachten Bosheit. Man lies mich ruhig und ohne daß ich je diese Falschheit hätte merken können, mit der Dame und ihrer Familie nach M*** abreisen. Wir alle argwohnten nichts, saßen zufrieden beisammen im Wagen, und vollendeten in zween Tagen unsere kleine Reise.[124] Ein feiler Schurke von Bedienten wurde mir unter dem Vorwand, daß er mich bedienen sollte, mitgegeben. Kaum waren wir in M***, als dieser Bote des Lasters mir ein Billet folgenden Innhalts von seinem Herrn zustellte:


»Madememoiselle! Sie haben sich durch ihre wenige Verträglichkeit ihres hiesigen Aufenthaltes unwürdig gemacht. Wenn man nicht viel Vermögen hat, muß man sich in alle Menschen schikken können. Schreiben Sie sich nun alle Folgen selbst zu. Sie sind jung, schön, gesund und wizzig; suchen Sie nun ihr Glük in der großen Welt. – Das Versprechen, das ich Ihrem Oheim that, war willkührlich, und folglich in meiner Gewalt es aufzuheben. Wenn Sie Ihren eignen Vortheil verstehen, so werden Sie in dem Hause Ihres jezzigen Aufenthalts so lange schweigen, bis sich Ihnen einige Aussichten öffnen, damit Sie nicht zu frühzeitig das Recht der Gastfreiheit verscherzen. Der Bediente hat Ordre unter einem politischen Vorwand zurükzukehren, und von ihm werden Sie auch ihre wenigen Kleidungsstükke zu Ihrem Gebrauche erhalten. Ich wünsche, daß Ihr Köpfchen geschmeidiger werde, und mehr können Sie doch wahrhaftig nicht von mir fordern.«


Ihr ergebner Diener

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Ha! – Fanny! – Ich glaubte zu versinken, als ich diese Beweise der marmorherzigen Grausamkeit las! – Ich warf mich wie unsinnig aufs Bett! – Ich fühlte die Trostlosigkeit eines Fremdlings, der, wie ein überflüßiges Mitglied, von keinem Menschen geschäzt und geliebt, freudenlos in der Natur herumwandelt! Meine Börse war so schlecht bestellt, daß sie mir für keinen Monat Unterhalt bürgte. Unentschloßen der Dame vom Haus etwas zu entdekken, mistrauisch gegen ihren Mann, niedergebeugt und schüchtern gegen[125] das junge Fräulein, verlebte ich zween schrökliche Tage. – Meine Schwermuth lag mit hellen Zügen auf meiner Stirne; Thränen glänzten in meinen Augen, so oft man mich um die Ursache dieser Schwermuth fragte. Die Verstellung, die Unterdrükkung meines Kummers preßte meine Seele zusammen, mein Kampf machte Aufsehen, und die Dame drang in mich. – Antworten konnte ich durchaus von Anfang nicht, denn die Wehmuth erstikte mich beinahe. Ich gab ihr das empfangene Billet und harrte zitternd auf ihren Entschluß. Zu allem Glük beruhigte mich diese Menschenfreundin so gut sie konnte. Nur sagte sie mir, daß dieser Vorfall ihrem Gemahl noch ein Geheimnis bleiben müßte, bis sie die Entscheidung meines Schiksals von meinem Oheim, dem sie den ganzen Vorfall berichten wollte, erhielte. – Das Fräulein, die bei dieser Unterredung zugegen war, braußte feurig auf über die schlechte Behandlung eines Verwandten, eines Geistlichen. Mit dem heftigsten Feuer der beleidigten Freundschaft eilte sie zur Feder, und schrieb diesem Unmenschen einen sehr beissenden, empfindlichen Brief. – Sie lies ihn alle die Verachtung fühlen, die er verdiente. So harre ich ungewis und bange, bis zu ferneren Nachrichten von meinem Oheim. Gewis, meine Liebe, nichts ist quälender, als wenn man es weis, wenn man es fühlt, daß man der Menschenhülfe bedarf. Ich saß oft mit marternder Furcht bei Tische, wagte es kaum, das Bischen Gastfreiheit zu genießen, weil ich alle Minuten ahndete, daß der Herr des Hauses meine Lage erfahren und mich für einen überflüßigen Gast ansehen könnte. Er war ohnehin kalt und mürrisch gegen mich, und das bloße Wiedervergeltungsrecht für die bei dem Pfarrer genoßenen Höflichkeiten hielten diesen Mann noch in den Schranken des Wohlstandes. Auf diese Art, meine Freundin, ist deine arme Amalie für diesmal in den Händen des Ungefährs. Ob es mich nun in Abgrund hinschleudert oder[126] nicht..... das sollst Du bald hören von deiner unglüklichen


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 124-127.
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