LVII. Brief

An Fanny

[141] Theuerste, beßte Fanny! – Ich muß mich heute schon wieder ans Klosterleben halten, denn dieses liefert mir täglich mehr Stoff zum Lachen und zum Erbarmen. Zwar sind diese Sammelpläzze der Dummheit in den kaiserlichen Ländern jezt sehr vermindert; aber um desto schröklicher schmachten die armen Nonnen in andern Gegenden ohne Rettung, umsonst nach[141] Freiheit, und beneiden jene um das Glük ihrer Sklaverei entledigt zu seyn. Nun will ich Dir doch das Wichtigste vom Klosterleben entwerfen. Gehorsam und unverlezte Keuschheit ist der Nonnen Hauptregel. Die geringste Uebertretung des erstern wird unter ihnen frazmäßig gestraft. – Da kann man alle Tage Nonnen am Kazzentischchen, andere mit hölzernen Kochlöffeln im Munde, wieder andere auf der Erden sizzend sehen, u.s.w. Zwanzigjährige Mädchen müßen da wie Kinder vor der Ruthe ihrer Mutter zittern; müßen der Vernunft widrige Strafen dulden, die ihnen durch Weibergesezze aufgelegt werden. – Müßen einer kindischen Moral folgen, die ihren Kopf zum Starrsinn, und ihr Herz zur Fühllosigkeit bringt. – Steif zusammen gedrängt, trauen sich die armen Kinder kaum Gottes freie Luft zu genießen. Denn wohin reicht nicht das scharfe Auge einer stolzen, aufgeblasenen würdigen Mutter? – Der Neid und die natürliche Schwazhaftigkeit der Weiber dringt in den Klöstern bis zu den geringsten Fehlern des Nebenmenschen. Man besucht sich unter einander, blos um Anmerkungen unter sich zu machen; man plaudert zusammen, um Neuigkeiten zu erfahren; kurz man macht willkührlich Jagd auf die Vergehungen Anderer, um sie zu verachten und der Misgunst Nahrung zu geben. Was nun die Keuschheit betrifft, diese wird in Heuchelei eingekleidet, so gut es einer Jeden möglich ist. – Freilich sind ihre Gedanken dabei zollfrei. – Nun wollen wir ihre Andachtsübungen untersuchen. – Die Nonnen beten viel, und doch nichts. Sie beichten oft, aber immer, aus Gewohnheit, kalt. Der Schlaf wird bei ihnen um Mitternacht gestört, aber desto träger, desto untüchtiger sind sie in ihren Empfindungen zum Lobe des Schöpfers, weil es ihrem Körper an der nächtlichen Ruhe mangelt. – Bei Tische genießen sie die Früchten der gütigen Natur mit milzsüchtiger Laune, denn ihre melankolischen Vorlesungen hemmen die Säfte der Verdauung. Ein[142] barbarisches Stillschweigen... man denke sich das Wort Weib hinzu... martert ihre Seele, und macht sie jede Fröhlichkeit vermissen, die der gute Gott blos zur Erholung der Tugendhaften schuf. Speis und Trank muß ihnen zur Last seyn, weil sie es unter der Obsicht der Tirannei genießen. Es ist zum Entsezzen, wie erfinderisch der Unsinn da jede Freiheit vergiftet, die der liebe Vater im Himmel, uns Allen zur Erholung, der leidenden Menschheit mittheilte. Die Erholungsstunden der Nonnen bestehen aus Gaukeleien, aus Kinderspielen, worüber die Vernunft weinen möchte. – Die jungen Nonnen unterhalten sich aus Raserei, aus Langerweile, mit dergleichen läppischen Poßen, weil ihnen jede geschmakvollere Unterhaltung untersagt ist. Die alten Nonnen verkriechen sich mürrisch in ihre Zellen, und freuen sich sehnsuchtsvoll auf ihren Tod. Bücher sind durchaus bis auf ein Paar Kapuzinerautoren bei hoher Strafe verboten. Schreiben darf keine Nonne ohne die Erlaubnis ihrer Oberin. Alle Briefe werden von dieser versiegelt, und auch die Antworten wieder von ihr gelesen. – Das ist doch eine unverzeihliche Nasenweisheit! – Das beweist doch recht, daß man den Nonnen jeden Weg abschneidet, freiwillig im Kloster zu bleiben und freiwillig sich der Enthaltsamkeit zu opfern. So verleben diese Armseligen im ewigen Streit ihrer Leidenschaften, mit dem herznagenden Hang zur Freiheit ihre Tage, entfernt von allen Freuden des Lebens, entfernt von der gesunden Vernunft, entfernt von den Rechten der Menschheit. Unwißenheit, Menschenhaß, Vorurtheil, Einfalt begleitet die Vorsteherin solcher Häufchen überall. – Ja wohl, meine Freundin, ist Klostererziehung die abgeschmakteste von der Welt. Wie können die Frauenzimmer, denen es selbst an Welt-und Menschenkenntnis fehlt, junge Seelen bilden? – Wie können sie in jungen Mädchen Leidenschaften erforschen, wenn sie über ihre eigenen nicht nachdenken dürfen? – Wie können sie die[143] rohe Natur in Kindern zu verfeinern suchen, wenn sie die Stimme derselben in sich selbst erstikken und mit übertriebener Selbstverläugnung brandmarken müßen? Wie können sie das Temperament eines Kindes nach seiner gehörigen Art zur Tugend ordnen, wenn in ihren eigenen Köpfen nichts als Rohheit, verwirrte Leidenschaften und wütender Gähzorn herrscht? – Unzufriedene Menschen sind überhaupt mürrisch, und unfähig das zarte Herz eines weichen Kindes zu bilden. Wie viele zufriedene Nonnen haben wir denn, denen es nicht an Geduld zur Erziehung fehlte? – Diese Eigenschaft, die, nebst eigener Erziehung, zu diesem Geschäfte höchst nöthig ist, mangelt den Nonnen vorzüglich. – Das wenige Menschengefühl, das sie ins Kloster bringen, wird durch Vorurtheil unterdrükt, verdorben, oder gar ausgerottet; – und im Gefühl liegt doch der größte Keim der Tugend. – Aber um zu fühlen, muß man zuerst denken lernen, und um gut zu handeln, muß man fühlen lernen. Es ist ein wahres Elend, wenn man die an Seel und Sitten schwachen Klosterkostgängerinnen betrachtet. – Unerfahren, steif, blöde, ohne Herz, ohne wahren Begriff von Gott, ohne Menschenverstand, schüchtern wie Hasen, trippeln sie mit abgemeßenen Schritten, in der Schule umher. Jeder Keim von aufsteigendem Wiz wird in diesen Schülerinnen zurükgeschrekt. – Die Lebhaftigkeit der Kinder wird in tükkisches Wesen verwandelt. – Sie lernen heucheln, lügen, sie lernen sich aus sklavischer Furcht verstellen, sie lernen Falschheit und Bosheit. – Man spricht den Kindern von Lastern, und öffnet ihnen dabei den Weg, darüber nachzudenken. Man lehrt sie die Mannspersonen ohne Ausnahme verabscheuen; Liebe zu ihnen schildert man den jungen Zöglingen als Verbrechen. Sie lernen dieses Geschlecht nicht anders als mit Vorurtheil kennen; bleiben von ihm entfernt so lange die Natur schweigt, überlassen sich dann aber desto zügelloser den Schmeicheleien der[144] Stuzzer, wenn sie in die Welt tretten, und nehmen in ihrer Leichtgläubigkeit das für baare Münze an, was ihnen jeder Gek vorlügt. Unerfahrenheit, Neuheit, wachsende Leidenschaften, Eitelkeit, Liebe zum Weihrauch, sind die baufälligen Säulen ihrer Klostertugend. Ihr Lärvchen blendet den Wollüstling, und ihr Körper wird allen Denen zu Theil, die den Muth haben, sie zu überraschen. – Ein dummes Mädchen ist tausendmal schwächer, als ein vernünftiges. Wiz, Wohlstand und Beurtheilungskraft sind für junge Mädchen durchaus nöthige Dinge, wenn sie nicht das Spiel eines jeden Angrifs werden will. Und wie ist es denn möglich, meine Beßte, daß ein Mädchen zwischen den Mauern die Welt kennen lernen kann? – Wie ist es möglich, daß man Nonnenerziehung nicht völlig abschafft? – Sie taugt zu nichts, kann zu nichts taugen. Jezt nur noch etwas weniges von meinem Freier: Er schreibt mir so schwärmerische Briefe, die gewis jedes andere Mädchen zur unheilbarsten Leidenschaft hinreissen würden. So viel mich deucht, liebt mich der Mann mit einiger Leidenschaft; nur thut es mir leid, daß diese Leidenschaft ihn so sehr martert. – Denn man schreibt mir, daß er seit meiner Abwesenheit kränklich seye. Was nun aus dieser Bekanntschaft noch werden wird, sollst Du bald hören von deiner ewig treuen


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 141-145.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen