LIX. Brief

An Amalie

[148] Liebstes, beßtes Malchen! – Ich bin Dir zwo Antworten schuldig. Aber Du sollst sie heute reichlich ersezt bekommen. Also zum Voraus zu deinem erstern Briefe, in welchem Du mir so treffende Klosterschilderungen lieferst: Du bist glüklich, daß Du nicht unter die Klasse von armen Nonnen gehörst. Menschen, die sich mit gesundem Körper begraben! – Menschen, die es wagen, aus Eigendünkel der Schöpfung zu widersprechen! – Menschen, die aus Fantasterei ihren Leib[148] kasteien, und dabei ihre Seele zu Grunde richten! – Menschen, die dem Ewigen freventlich ins Richteramt greifen! – Kurz, arme, bedaurungswürdige Menschen, die blind nach Feßeln, nach ewiger Unzufriedenheit haschen! Möchte es doch jedem Monarchen einfallen, Bande zu lösen, die unmöglich zur Seligkeit dienen können. Möchten die Großen der Erde mit forschendem Blik hineinschleichen in die von Thränen der Unzufriedenen feuchten Mauern des Klosterkerkers! – Möchten sie fühlen, möchten sie hören, wie der wütende Gram so vieler Nonnen laut wimmert! – O daß eine milde Hand diese nach Freiheit seufzenden Mädchen trösten und retten möchte! – O, daß diese Hand rächen möchte die misbrauchten Rechte der Natur! – Dies, meine Theuerste, sind gewis die wärmsten Wünsche meines Innern! – Was nun die Erziehung anbelangt, die in Klöstern gegeben wird, so ist es leicht zu begreifen, daß sie die Kinder mehr verderbt, als bessert, Weiber, die aus Vorurtheil sich untereinander selbst martern, können unmöglich gute Menschen bilden. Das leidige Vorurtheil ist das Grab der Vernunft, der Tod der Tugend und des guten Herzens. Man muß hell sehen, selbst empfinden und viel denken, wenn man Kinder erziehen will. – Es erfodert den schärfsten Blik, die reifste Ueberlegung und die richtigsten Kenntnisse der menschlichen Leidenschaften, die in jedem Kinde verschieden wirken. Besonders sollten die Nonnen einen mitleidigen, nachsichtsvollen Blik mehr auf mannbare Mädchen werfen, bei denen sich der erste und heftigste Trieb der Liebe zu melden pflegt. Sie sollten sich dieser jungen Mädchen Zutrauen zu erwerben suchen; dies wäre der einzige Weg, sie durch eben diesen Trieb der Liebe sanft zu ihrer Pflicht zu führen. Aber wie roh, wie unmenschlich, wie strenge werden von den Nonnen eben diese armen Mädchen behandelt. Man bewacht ihre Handlungen, aber nicht ihre Begierden, man droht ihren Leidenschaften,[149] und macht die Liebe zum Eigensinn ausarten, man kerkert sie ein, und zeigt ihnen dadurch den Weg zu heimlichen, frechen Zusammenkünften. Die Nacht muß alsdann die Stelle des Tages vertretten, und tollkühn besteigt das feurig verliebte Mädchen die hohen, festen Mauern der Unempfindlichkeit, schwelgt, von dem Verbote gereizt, in den Armen ihres Lieblings. Liebe kann auch die beßten Herzen zu Grunde richten, wenn ihr Züchtigung oder häßlicher Kontrast entgegengesezt wird. Das unverdorbene Mädchen kämpft willig mit ihrer Leidenschaft, aber eine theilnehmende, vernünftige Vertraute muß ihr Aufmunterung und Hülfe darbieten. – Heftig brennt das Feuer der ersten Liebe, und gewaltsame Mittel fachen es nur noch mehr an. Vernunft! – möchte ich laut diesen Schulvorsteherinnen zurufen! – – Nun zu deinem zweiten Briefe: – Das Schiksal deiner Schwester liegt auf einer gefährlichen Wagschale; sie steht am Scheideweg, die Arme, ihres ewigen Unglüks! – Man will ihr barbarisch eine Freiheit rauben, deren Werth in dem Buche des gerechten Richters mußte verrechnet werden! Der Vormund und die Nonnen sind leichtfertige Menschen, daß sie sich an den Willen eines Mädchens wagen, dem selbst der Schöpfer Freiheit gab. – Es ist unverantwortlich, den freigebornen Menschen auf Zeit Lebens mit Leib und Seele dem Eigennuz zu verhandeln! Die Nonnen geben zwar diesem Freiheitstausche einen ganz andern Namen, sie nennen es Beruf, wenn ein junges unwissendes Mädchen aus Furcht, aus Mangel an Selbstkenntniß, gereizt von falschen Lokspeisen ein zaghaftes Ja daherstottert. Der freie Willen eines Mädchen wird vom öftern Zureden übertäubt; ihre Vernunft ist noch zu schwach, um den Folgen nachzudenken; sie sieht nur das Gegenwärtige, und will Denen, die über ihr sind, nicht gerne widersprechen; sie kann aus Mangel an Erfahrung nicht urtheilen, und hält das selbst[150] für Beruf, was ihr Leben vergiften wird! – Das was die Nonnen Noviziat nennen, ist keine wahre Prüfung, sondern eine bloße Spiegelfechterei ihrer eigennüzzigen Absichten. Das schüchterne, an tausend Bußen gewöhnte Mädchen kann ihre Geduld in diesen Prüfungstagen nicht viel mehr auf die Probe sezzen, als in der Kostgängerschule, wo sie eben so oft beten, fasten und auf dem Boden sizzen mußte. Blos zu Rettung ihres guten Namens brauchen die Nonnen bei der Aufnahme einer Schwester diese Zeremonie, damit die Welt glauben solle, daß jedes Mädchen seinen eignen Willen dazu gäbe. Nun kann doch ein Mädchen vor fünf und zwanzig Jahren zu einem solchen Schwure keinen freien Willen haben, besonders, wenn sie die Welt gar nicht kennt, und mehr Böses als Gutes von ihr weis. – Ich bleibe bei meinem Saz. Jede Einkleidung eines jungen unerfahrnen Mädchens ist ein mörderischer Raub an dem Menschengeschlecht. – Raffe Dich auf, Freundin! und schleppe sie weg vom Altar, deine arme Schwester, wenn es je so weit mit ihr kommen sollte! – Dein Oheim ist abwesend, Du bist diesem Kinde Elternpflicht schuldig. Doch beschwöre ich Dich, handle mit Vorsicht, und begehe keine Uebereilung. – Ich kenne deinen hizzigen Kopf, und zittere für Dich! – Schreibe Dir diese Worte tief ins Herz, meine theure, unglükliche Amalie! – Jezt auch noch ein Wörtchen von deinen Herzensangelegenheiten: Du liebst also deinen bestimmten Bräutigam? – Doch nicht mit der lebhaften Leidenschaft glaub ich, wie er Dich liebt. – Eben dieser Unterschied, meine Liebe, verspricht mir von deiner Seite mehr Standhaftigkeit, als von der seinigen. – Man will behaupten, was in der Liebe zu überspannt seye, müße brechen. – Doch in der Liebe ist nicht leicht zu rathen, ich muß Dich für diesmal schon deiner eigenen Führung überlassen, weil ich den Mann nicht kenne, der sich mit Dir verbinden will.[151] Nur scheint er mir – vergieb mir meine Aufrichtigkeit – durch seinen zügellosen Wunsch, Dich so bald zu besizzen, etwas verdächtig. Ist es Furcht Dich zu verlieren? – Du bist ja im Kloster gut verwahrt! – Ist es reine gränzenlose Liebe! – Nun, sie wird ihm ja erwiedert! – Aber, meine Liebe, wenn es blos Begierde nach Genuß wäre? – Wenn es ein stürmisches Sehnen nach Sättigung seiner Wollust wäre? – Ich würde unsinnig, wenn Du Dich täuschtest! – Sey vorsichtig! – Das ruft Dir zu deine liebe


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 148-152.
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