CXXI. Brief

An Amalie

[133] Um Gottes willen, Freundin! – was hast Du seither nicht alles erlebt, und wie weit bist Du izt von mir entfernt! – Nicht wahr, meine Gute, ich habe Dir die schröklichen Theaterschiksale zum voraus verkündigt. – Alle nur möglichen Niederträchtigkeiten scheinen diesen Leuten von Natur anzukleben; sie lassen ihre Herzen so tief im Morast versinken, daß ihnen alle Laster zur kalten Gewohnheit werden, womit sie Tugendhafte tirannisiren, wenn diese das Unglük haben unter sie zu gerathen. –

In diesem Stande sind gute Ausnahmen von rechtschaffenen Seelen so äußerst selten zu finden, weil sich bei den vielen Bühnen eine Menge Pöbel zusammenrottet, und den Freiheiten dieses Standes einen ewigen Schandflek anhängt. – So manche Schauspieler-Gesellschaft gleicht einem Schwarm streifenden Ungeziefers, das sein Gift überall zurükläßt; daß man aber die Bosheit und Schadenfreude so weit treiben könnte, wie es das Häufchen Buben und Bübinnen in P... gegen Dich trieb, hätte ich doch nie vermuthet. – Mein Karl sagte: »Unter den Hunden giebt es tausendmal bessere Herzen.«

Von der Erzbuhlerin R.... habe ich schon öfters abscheuliche Streiche erzählen gehört. Sie ist in der halben Welt als die ärgste Mezze bekannt, die die Obrigkeit wieder aufs Neue ins Zuchthaus stekken sollte. – Was wäre denn aber auch von einem Schustersweibe besseres zu erwarten, deren Mann um den Uebermuth seines Weibes willen, den Leist verlassen mußte. – Er soll ein braver komischer Schauspieler gewesen seyn; Gott gönn ihm izt in jener Welt die Ruhe, die er hier an der Seite seines ehrvergessenen Weibes nicht genoß. –[133] Auch sie – sagt man – spiele die Rollen niederträchtiger Weiber, unverschämter Buhlerinnen, komischer Kupplerinnen, boshafter, zänkischer, lasterhafter Kreaturen mit vieler Natur; ... nur in edeln Karakteren, in den Rollen moralischer, guterzogener Mütter, wäre sie unausstehlich. – So viel erzählte mir lezthin ein unpartheiischer Theaterkenner selbst. –

Gott schenke Dir izt bei Seipp alles Vergnügen, das Du verdienst; weil er selbst Talenten besizt, wird er gewis die deinigen nicht verkennen. Nur Dummköpfe unterdrükken aus Neid die Vorzüge an Anderen. – Daß dieser brave Mann unter seiner Gesellschaft so tapfer auf gute Sitten hält, freut mich unendlich; – nur der Kummer wegen deiner gefährlichen Reise ängstigt mich noch ein Bischen, bis ich einmal weis, daß Du glüklich angekommen bist! Man versichert mich, Siebenbürgen wäre ein wahres Räuber land. –

Ich und mein Karl wünschen Dir allen Segen von Gott, und uns dabei eine geschwinde Nachricht von deiner glüklichen Ankunft. – Hier diesen Kuß zum Zeichen meiner unveränderten Liebe. –

Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 133-134.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen