CXXII. Brief

An Fanny

[134] Gott sey ewiger Dank gesagt, daß auch diese Reise vollendet ist! So äußerst elend habe ich noch keine zu machen gehabt. – Die Straßen waren abscheulich schlecht; je tiefer wir unter die Wallachen hineinkamen, desto gräßlicher wurde unsere Furcht und alle Arten von Unbequemlichkeiten. –

Die Räuber schonten uns, der Himmel sey gepriesen! ob es gleich hier zu Lande sehr gewöhnlich ist, ganze Rotten von dreißig bis fünfzigen zu treffen, die alle mit vierfachem Schießgewehr[134] versehen sind. – Da sie sich auch gerne in Wirthshäusern einnisten, so zwang uns die Klugheit, uns mit Militärorder zu versehen, um bei Dorfrichtern Herberge zu nehmen, und zogen aus dieser Ursache vor auf Heu zu schlafen, selbsten zu kochen, u.s.w. Es war eine allerliebste Wirthschaft! – Unsre Mannsleute mußten Geflügel zuschleppen, die Wallachinnen gaben uns Spek, und wir Weiber besorgten die Küche. – Seipp sorgte ohne Eigennuz, als wahrer Vater, für seine Kinder; sein armes schwangeres Weibchen duldete auf dieser Reise sehr vieles mit Standhaftigkeit; nur ein einzigesmal überfiel sie Wehmuth, die dann der rechtschaffene theilnehmende Gatte mit warmer Zärtlichkeit zu zerstreuen wußte. – O, diese zwei Leutchen lieben sich wie die Engel; ein liebenswürdiger dreijähriger Knabe knüpft das Band ihrer Gattenliebe noch enger. – Sie gehören zur protestantischen Religion, und sind eifrige Christen; in ihrem Betragen herrscht überall Pünktlichkeit, und ihre Aufführung ist untadelich. – Seipp duldet unter seinen Leuten keine von schlechten Sitten. – Die Mitglieder der Gesellschaft sind aber auch so geehrt, daß jedem davon der Eintritt in die angesehensten Familien offen stehet.

Schon seit vier Jahren durfte wegen schlechter Aufführung keine Schauspieler-Gesellschaft mehr über die hiesigen Gränzen; nur unserm braven Seipp gelang es durch Empfehlungen von etlichen Ministern, durchzudringen. Alle lieben und schäzzen ihn. Das Publikum stürmt zahlreich ins Schauspielhaus, und verläßt es wieder mit enthusiastischem Beifall. Wir bekommen Alle richtige Bezahlung, und stehen gut, weil es hier äußerst wohlfeil zu leben ist. –

Lezthin spielte ich zum erstenmale, und wurde recht gut vom hiesigen Publiko aufgenommen. Ich laß es aber auch nicht am Fleiß mangeln, und arbeite mit Lust, weil uns keine Stuzzer hinter den Koulissen stören dürfen. – Es ist[135] allen jungen Leuten untersagt, weder bei den Vorstellungen selbst, noch bei den Proben auf Abentheuer hinter den Koulissen herumzuschleichen. Auch keiner der Mitspielenden darf es wagen, über einen andern nur eine Miene von Anmerkung zu machen. – Seipp weis den Neid in Schranken zu halten. – Sein enthusiastischer Eifer für die Richtigkeit der Schauspielkunst macht ihn freilich manchmal ein Bischen hizzig, aber nicht pöbelhaft, wie es seine Feinde vorgeben. – Ich gedenke mich recht gut in seine Anführung zu schikken, und verehre seine Kenntnisse mit inniger Zufriedenheit.

Und nun, liebe Fanny, küße mir deinen Karl, und danke ihm in meinem Namen für seine Sorgfalt!

Deine Dich liebende Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 134-136.
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