CXXX. Brief

An Fanny

[152] Beßtes Mädchen! –


Wie sehr bedauerte ich Dich, als ich vernahm, daß das unbarmherzige Schiksal Dir gedroht hatte deinen guten Karl zu entreißen. – Ich kann mir den Kummer lebhaft vorstellen, den Du dazumal mußtest gefühlt haben! – Wenn man seine ganze zeitliche Glükseligkeit auf einen einzigen Gegenstand sezt, und das Schiksal uns denselben zu entziehen drohet, ist es nicht, als ob wir einen Theil unseres Selbst verlieren sollten? –

Aber nun muß ich Dich doch auch ein Bischen über einen andern Punkt zanken: – Was hattest Du denn dazumal für eine abscheuliche hypochondrische Laune, als Du mir wegen meiner Leidenschaft fürs Theater eine so derbe Lektion zuschriebst? – Ist denn meine Leidenschaft so unheilbar, oder ist sie auf tollen Eigensinn gegründet, daß du so kräftig darüber losziehest? – So lange mir das Verhängnis keine bessere Bestimmung gönnt, so lange das Theater meine einzige[152] ökonomische Aussicht bleibt, muß ich ja diese Leidenschaft nähren, denn sie spornt doch immer den Fleiß an, der mir außer ihr gewis mangeln würde. – Einem Stand, den man nicht ändern kann, muß man doch wenigstens Ehre zu machen suchen. – So reizend und lokkend meine Leidenschaft fürs Theater auch immer ist, so beraubt sie mich doch bei ruhigen Stunden der Ueberlegung nicht. – Ich sehe dann recht gut ein, daß sie mit der Zeit auf Kosten meiner Seelenruhe und Gesundheit in eitle Thorheit ausarten könnte.– Auch nicht der Beifall des Publikums ist es, der mich in dieser Leidenschaft stärkt. – Er muntert mich zwar auf; aber ich sehe ihn nie für eine hinlängliche Belohnung für die Erduldung der grausamen Streiche des Neides an, denen jeder Schauspieler von seinen Nebenarbeitern ausgesezt ist. – Meine innerlichen heftigen Affekte sind es, die diesen Hang in mir nähren, weil sie durch schwermüthige Rollen Anlaß zum Ausbruch bekommen. – Die Ergießung meiner Melankolie verschafft mir dann jene Erleichterung, die meinem gepreßten Herzen so nöthig ist, worinnen so stürmische Leidenschaften toben! – Kennst Du denn die Lebhaftigkeit meines Temperaments und meiner Einbildungskraft noch nicht genug? – Kannst Du denn nicht begreifen, daß ich entweder auf der Bühne in einer Rolle, oder außer dieser an dem Busen eines Freundes schwärmen muß? – War ich denn je eine von jenen trägen Seelen, deren Gefühl sich so willig in die engen Schranken ihrer frostigen Einbildungskraft einkerkern läßt? – Meine Gefühle sind feurig, sie haben sich emporschwingen gelernt, sie lassen sich nicht gerne einschränken, sie müßen Beschäftigung, sie müßen einen Gegenstand haben, woran sie sich halten können. – Ehedessen war Liebe meine Hauptbeschäftigung, aber seitdem ich ihre Bitterkeiten kostete, ist es der Hang zum Theater geworden. – So bald mir das Schiksal wieder einen andern Ausweg zeigt, will ich ihm ja gerne folgen. – So[153] viel, meine Freundin, verspreche ich Dir in die Zukunft! – aber für izt kann ich einmal nicht anders; ich muß noch eine Zeitlang bei der Bühne bleiben. –

Das hiesige Theater ist nun völlig eingegangen. – Eine fremde reisende Dame bot mir bis F... einen Plaz in ihrem Wagen an. – Ich werde mitreisen, und mir dann bei dieser Gelegenheit einen andern Direktor suchen. – Hier in Wien ist ohnehin keine fernere Aussicht für mich mehr zu hoffen. – Beim Nazionaltheater ist alles übersezt, und zu einer kleinen Gesellschaft mag ich mich nicht anwerben lassen. –

In F... soll sich dermalen ein guter Direktor aufhalten. Ein hiesiger, angesehener Mann, giebt mir ein Empfehlungsschreiben an ihn mit. –

Lebe indessen gesund, Theuerste, und grüße mir Karln recht herzlich! –

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 152-154.
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