CXXXIX. Brief

An Fanny

[176] Dein lezter Brief hat mich wieder ganz beruhigt, und ich kann Dir izt mit aufgewekterem Kopfe von meinem künftigen Schiksal sprechen. – Dann magst Du dieses Schiksal an der Seite deines Karls durchdenken, durchlesen, und mir sagen, was Du davon hältst! – Gieb indessen deinem Karl ein recht warmes Mäulchen für mich, Du liebe Schwärmerin, wenn Du ihn wieder an deiner Seite hast! – Und nun höre! –

Mein guter Direktor N... steht völlig auf der Neige. – Zum Glükke bieten sich mir gerade zu rechter Zeit Aussichten in St... an, die zwar mit einigen Bitterkeiten verbunden sind; aber da mir wohl keine andere übrig bleiben, so muß ich sie wohl annehmen. – Daß nun diese Aussichten nach meinem Wunsche ausfallen werden – glaube ich schwerlich; denn die Briefe dortigen Direktors K.... beweisen mir gerade das Gegentheil. –

Erstlich räsonniert Herr K.... erzgrob gegen ein Frauenzimmer in seinen Briefen; er scheint mir daher besser zum Stallknecht als zum Direktor zu taugen. – Zweitens dünkt er mir ein eigennüzziger Dummkopf zu seyn, der so wie viele andere die Sinnlichkeit des Publikums zu befriedigen sucht. –[176]

»Madame, wenn Sie nicht recht gut gewachsen sind, so kommen Sie ja nicht zum Debut!« – So lauten die Worte dieses Grobians – der sich schon zum voraus als Oberaufseher eines Lustnimphen-Chors zeigt. – Wäre in meiner Lage guter Rath nicht so theuer, ich würde mich nie zu diesem Niederträchtigen begeben haben. – So viel Mistrauen er auch immer in mein Talent sezt, so kümmert mich doch sein Gewäsche nicht im geringsten, und ich wage es kühn auf den blosen Debut nach St.... zu reisen. – Gefalle ich dem Publikum, so bin ich angeworben; gefalle ich ihm nicht, so verliert der Direktor die Reisekosten und ich meine weitere Aussicht. –

So weit gienge nun meine Entschließung, die Du nach beiliegendem Brief selbst billigen wirst, der mir von dem guten unglüklichen N.... geschrieben wurde. – – Mein künftiges Glük hängt nun vom Zufall ab; willst Du für mich indessen ein Paar hohle Seufzer zur Göttin Thalia schikken, damit sie die Laune des Publikums zu meinem Vortheil stimmt, so magst Du es immer thun. – Ob deine Seufzer erhört worden oder nicht, sollst Du im nächsten Briefe erfahren. – Bei meiner Ankunft schreibe ich Dir gleich. – Uebrigens bin ich wie allezeit dein ergebenes, aufrichtiges

Malchen.


Beilage zum vorhergehenden Briefe.


Madame! –


Wie leid thut es mir, Ihre Theater-Verdienste nicht fernerhin nach meinem Willen belohnen zu können! – Es schmerzt mich unendlich, eine so würdige Schauspielerin entlassen zu müßen. Sie kennen meine Achtung für Ihre Denkungsart und Talente. – Bedauern Sie die elende Verfassung eines Mannes, der sich alle nur mögliche Mühe gab, seine Gesellschaft nicht eingehen zu lassen, und dem seines Fleißes ungeachtet[177] jede Hofnung einer künftigen Aussicht fehlschlug. – In verschiedenen Städten ist mir die Erlaubnis zu spielen nicht ertheilt worden. – Bin ich nun nicht zu der Aufhebung meiner Gesellschaft gezwungen, da ich es bei der geringen Unterstüzzung des hiesigen Adels nicht länger mehr an einem Orte aushalten kann, wo man mich mit Gewalt zu stürzen sucht? – Die Damen trieben es so weit, daß sie zusammen schwuren, meine Bühne mit keinem Fuß mehr zu betretten. – Und warum? – Lachen Sie nicht, Madame! – Es herrscht in kleinen Städten unter den Damen eine gewöhnliche Seuche, die Bürgerinnen um ihres Anzuges willen gar grimmig zu verfolgen. –

Meine Frau ist die Tochter eines hiesigen Bürgers. – Seitdem Sie an meiner Seite Schauspielerin wurde, trägt sie etwas modernere Kleidung, als vorhin, die denn freilich mit geringen Kosten ihren Körper besser zieren, als der buntschäkkigte Puz einer solchen kleinstädtischen Mode-Aeffin. – Diese boshaften Thörinnen sind es, die einem ehrlichen Manne um einer Bettelei willen den Untergang zugedacht haben! – Hätten Sie wohl je bei adelichen Damen aus beleidigter Eitelkeit so eine kleine Handlung vermuthet? – – Wahrlich eine lobenswürdige Kultur herrscht in der Reichsstadt W.... unter den Weibern. – –

Verzeihen Sie, Madame, wenn ich nicht den Muth hatte, Ihnen Ihre Entlassung mündlich zu melden. – Ersparen Sie mir Ihren fernern Anblik; es würde mein Gefühl zu sehr reizen, eine Schauspielerin von Ihrer Gattung entbehren zu müßen. – Reisen Sie glüklich, von Leuten gesegnet, die Sie gewis schäzten. – Das wünscht Ihnen meine Gattin nebst mir, der ich mit aller Hochachtung immer seyn werde,

Madame,

Ihr ganz ergebenster Diener,

N...[178]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 176-179.
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