CXLI. Brief

An Fanny

[181] Diesmal, liebes Mädchen, läßt Du mich gar zu lange auf Nachrichten warten! – Was mag wohl die Ursache seyn? –[181] Ist etwa Dir oder deinem Liebling wieder ein neues Unglük zugestossen? – Nicht doch! – dann hätte ich ja schon Briefe! – Unglükliche Botschaften laufen geschwinder als andere; – und diese Grille soll mich nun nicht in meinen ferneren Beobachtungen stören. –

Jezt kann ich Dir, meine Liebe, die Theater-Talenten der ganzen hiesigen Gesellschaft schildern. Ich habe sie schon alle spielen gesehen, und Madame K.... soll mir zum Anfang dienen. –

Aus direktrisischer Eitelkeit spielt diese Frau alle Rollen, die ihr gefallen, sie mögen ihr passen oder nicht. – Ihr eigentliches Fach wäre naive Mädchen und Soubretten. – Bliebe sie dabei, so könnte ihr kein Kenner seinen Beifall versagen, den er ihr unstreitig in Trauerspiel-Heldinnen versagen muß. – Sie besizt weder Brust, noch Kraft, noch Organen zu einer feurigen Trauerspiel-Heldin. – Selten erräth sie den Sinn des Dichters, und noch seltener die Natur einer Situazion. – Alle Rollen von dieser Art werden von ihr durchgeheult, durchgeschluchzt, und durchgrimassiert. – Man möchte bei ihrem unausstehlichen Geraunz, womit sie vom Anfange bis zum Ende die Ohren der Zuschauer martert, davon laufen. – Diese Einförmigkeit der Deklamazion beweist, daß sie solche Rollen ohne Kenntnis spielt. – Ihr Bischen Gefühl, das nur von Zeit zu Zeit hervorblikt, liegt in dem Bau ihrer Nerven, und ihr Herz kann unmöglich Theil daran haben, sonst wäre sie nicht aufgelegt, in der Zwischenzeit hinter den Koulissen die ausgelassensten Schäkkereien zu treiben. – Eine enthusiastische Schauspielerin, die mit gerührtem Herzen spielt – und deren Seele Antheil an dem Spiel nimmt, kann da, wo die Leidenschaften in der feurigsten Gährung sind, keiner entgegengesezten Zerstreuungen fähig seyn – sonst ist sie nicht gute Schauspielerin – aber wohl eine bezahlte Komödiantin, die dem Publikum Scheingefühl auftischt. – Genug hievon! –[182]

Nun zur Madame E..., die sich ebenmäßig von einer unerhörten Rollenwut beherrschen läßt, da sie doch den wenigsten gewachsen ist. – Das muß man ihr indessen nachsagen: sie spielt ihre Koketten mit einer Gewisheit, mit einer Uebung, mit einer Frechheit, mit einer kalten Fühllosigkeit, mit einer verschmizten Bosheit, mit einem heuchlerischen Eigennuz, mit einer künstlichen Eroberungs-Sucht, mit einem gebrandmarkten Herzen, so gut als man es nur von der Natur eines solchen Karakters fodern kann. – Auch einige karakterisirte Konversazions-Rollen gerathen ihr. Besonders wenn Verstellung, Stolz, oder Neid darinnen liegt. – Hingegen verhunzt sie in allen gutartigen Rollen jede einzelne Stelle, die Gefühl ausdrükt; in Trauerspielen ist sie ganz und gar nicht zum Ansehen, noch zum Anhören. – Jede moralische Empfindung der Liebe oder Tugend wird von ihr so steif, so antheillos, so unempfunden dahergesagt, daß es Jammer und Schade für die gefühlvollen Arbeiten eines Autors ist, wenn sie in ihre Hände fallen. – Ihre Deklamazion in Trauerspielen besteht aus hunderterlei singenden Mistönen, wobei ihr in den Hauptaffekten das moralische Gefühl und ihre schwache Brust jeden Dienst zur richtigen Vorstellung versagen. – Ich sah sie die Königin im Macbeth spielen; aber mit solchem zusammengefrornem Herzen, mit solcher Monotonie und mit solcher unverschämten Dreistigkeit habe ich noch niemalen eine Königin spielen gesehen. – Bei dem Auftritt, wo die Gewissensbisse die Königin unruhig umhertreiben; wo sie mit der Todesangst kämpfend in das schon halb angebrannte Zimmer stürzt und zu dem Allmächtigen um Barmherzigkeit fleht – kam Madame E... ganz flegmatisch hereingeschlichen, beugte ihre Kniee sehr gemächlich zur Erde, hob ein halb lächelndes Gebet an, gerade so eiskalt, so zuversichtlich, so hochmüthig, wie eine unverschämte Kokette, die am Rande des Grabes sich noch in den Himmel hineinzubuhlen[183] sucht. – Hab' ich Dir nicht schon einmal gesagt, daß der sittliche Wandel bei einer Schauspielerin für den Kenner auf der Bühne in entgegengesezten Rollen äußerst hervorsticht? – Hier hast Du nun den wahren Beweis an dieser Madame E.... –

Jezt also weiter zur Madame P..., einem langen hagern Bilde von einem Weibe, – die, ihrer Figur nach, wohl Mütter und ansehnliche Frauen spielen könnte, wenn ihre träge Seele nicht an der Schlafsucht kränkelte. – Sie ist in ihren gefühlvollen Rollen noch weit weniger als eintönig, weil ihr das natürliche Flegma und die so sehr angewöhnte Faulheit kaum erlaubt, für den Zuschauer vernehmliche Worte über die Zunge zu stossen. – Nicht einmal den doch sonst gewöhnlichen Handwerks-Eifer besizt sie, ihre Rollen gut zu memoriren. – Würden dann von ihr die Rollen auch noch so unsinnig deklamirt, so wäre es doch weit erträglicher zu hören, als jener schleppende Ton, womit sie jede Silbe Ellen lang ausdehnet. – Sie versteht weder Pausen, noch weniger einen Uebergang der Leidenschaften im hohen Tragischen. – Komische Rollen könnten ihr noch besser gelingen, wenn sie nicht eitel und eigensinnig genug wäre, sich vollkommen zu glauben. – Es ist mir unbegreiflich, wie das Weib so ganz ohne das mindeste Feuer die interessantesten, leidenschaftlichsten Strophen überhüpfen kann; – eben so wenig als ich begreife, wie der Direktor der Mademoiselle S.... nur die geringste Rollen anvertrauen mag. – Ein Mädchen, die kein richtiges Wort teutsch spricht, die keine Silbe ohne Anstoß lesen kann – untersteht sich Liebhaberinnen und Kammermädchen zu spielen! – Die ist, weis Gott, in den Augen eines jeden unpartheiischen Kenners gewis nur das, was das Null bei den Zahlen ist. – Freilich weis sie sich ein Bischen zu puzzen, ist jung, hat einen vollen Busen! – Genug! – wird der Direktor denken, um die Stuzzer ins Theater zu lokken. –[184]

Nun kömmt die Reihe an Madame Mü...., die eigentlich nur Tänzerin ist, – welcher aber doch zuweilen die Lust ankömmt, dem Publikum auf ein Vierteljahr lang Ekkel einzujagen. – Sie will Soubretten spielen; kleidet sich in kurze Rökke, wie eine Kolombine; spricht baierisch bis zum Uebelwerden, und treibt auf der Bühne so pöbelhafte Streiche, wie ein wahres ausgeschämtes Alltags-Mensch. – Lezthin hätte sie das unwillige Publikum bald in der Rolle der Barbara, in dem Stükke: Glük bessert Thorheit, mit Pfeifen zu Hause geschikt. –

Ferner darf ich auch die andre Tänzerin, Madame Ma..., nicht vergessen; sie ist eine gute Tänzerin – aber eine blutschlechte Schauspielerin. Ob sie gleichwohl die Raserei besizt, um Rollen zu buhlen. – Ihr männliches Wesen, ihre Baßstimme, die mit widrigen, durch die Nase laufenden Tönen bis zur Abscheulichkeit akkompagnirt wird – machen aus ihr in jeder ernsthaften Rolle die lächerlichste Karrikatur. –

Endlich ist noch da Madame F...., welche nur spielen muß, was die andern nicht spielen wollen – und folglich keiner Foderung entsprechen kann. –

Hier hast Du nun die leibhafte Schilderung unserer Schauspielerinnen. – Da ich diesen Stand bald zu verlassen gedenke, so kann sie an keine Partheilichkeit gränzen – und ich getraue mir, sie vor jedem Theater-Kenner zu vertheidigen. –

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 181-185.
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