CXLIX. Brief

An Fanny

[206] Liebste Freundin! –


Die unerträglichsten Verdrüßlichkeiten, die ich eine Zeit her von meinem starrköpfigen Direktor zu dulden hatte, hielten mich so lange ab, Dir meine Ankunft in St... zu melden. – Ohne mein Bischen Philosophie würde mich der Verdruß in meiner jezzigen Lage umbringen! – Die Verfolgungen des Direktors sind so stark, daß es einige Personen versuchten, mir bei dieser Gesellschaft von Teufeln Ruhe zu schaffen. – Aber was kümmert sich der Direktor ums Publikum, dessen allgemeine Nachgiebigkeit er kennt? –

Nun giebt er mir durchaus unbedeutende Nebenrollen, welche ich, ob sie gleich außer meinem Fach sind, annehme, um täglichen Zänkereien auszuweichen. – Doch meiner Nachgiebigkeit ungeachtet, die ihn nur noch dreister machte, drang er mir lezthin wider alle Billigkeit eine sehr starke Rolle auf,[206] die ich wegen Kürze der bestimmten Zeit nicht einzustudieren vermochte. – Und sieh da, der Erzbösewicht benuzt diese gesuchte Schikane, und dankt mich unter dem Vorwand, als wäre ich eine nachläßige Schauspielerin, plözlich ab, ob ich ihn gleichwohl sehr dringend bat, das Stük nur auf einige Tage zu verschieben.

Zu meinem Glükke waren seine Briefe noch in meinen Händen, worinnen er mir auf ein Jahr Engagement anbot, wenn ich dem hiesigen Publikum gefallen sollte. – Was blieb mir also übrig, als ihn zu verklagen, wenn gleichwohl der hochmüthige Narr darüber fast unsinnig wurde, als ihn das Gericht zur Erfüllung seines Worts anhielt? –

Noch blutet mein Herz, wenn ich an die pöbelhaften Grobheiten denke, mit denen ich von diesem ungezogenen Flegel bei diesem Vorfall überhäuft wurde. – Die bitterste Galle, die unverschämtesten Lügen geiferte er mir so lange ins Gesicht, bis ihn die Richter endlich schweigen hießen. – Er mußte sogar versprechen, mir in Zukunft passende Rollen zuzutheilen. – Aber so etwas lies Herr Urian wohl bleiben, sonst würde ihm seine hizzige Ehehälfte die Perükke vom Kopfe gerissen haben, so sehr war sie gegen mein Spiel erbittert! – Das ehrgeizige Geschöpf muß sich selbst wenig Talent zutrauen, weil sie neben sich keine andere gute Schauspielerin dulden will. – Ist das nicht ein redender Beweis ihrer Schwäche? – Beweist sie durch diesen Neid nicht deutlich genug, daß sie leicht kann übertroffen werden? – Je mehr andere Schauspielerinnen mit mir in die Wette spielen, desto lieber ist es mir. – Dann bekomme ich erst Anlaß meinen Fleiß anzustrengen und mich zu üben. – So denke ich über diesen Punkt. – Das hiesige Publikum könnte leicht dieser Kabale vorbeugen, wenn es unter sich einstimmiger wäre und mit vereinigten Kräften sich an den Eigensinn des parteiischen Direktors wagte; – aber so etwas ist bei der Disharmonie,[207] die unter demselben herrscht, nicht zu hoffen. – Ich muß also wohl mein Geschik noch einige Monate gelassen ertragen lernen, da ich es doch nicht auf der Stelle ändern kann. –

Der junge Mann, mein Freund, bezeugte sich bei diesen Streitigkeiten sehr menschenfreundlich, und lies gegen mich viel gutes Herz blikken. – Fast hätte ich ihm bei diesem Anlaß auch Standhaftigkeit in der Liebe zugetrauet. – Schon sprach mein dankbares Gefühl zu seinem Vortheil; – als er mich plözlich durch sein unbesonnenes Betragen, durch sein wildes Wesen im Umgang vom Gegentheil überzeugte. – Er scheint mir izt in der Liebe ganz und gar meinen Forderungen nicht zu entsprechen – eben so wenig als meinem Ideal, das ich mir aus seinen schwärmerischen Briefen zusammenfantasiert hatte. – Hätte ich ihn doch keine Neigung merken lassen! – Zwar erneuert er seine Liebe gegen mich durch öfter wiederholte Schwüre; aber seine flüchtigen Besuche, seine leichtsinnigen Launen machen mich zittern! – Und doch bin ich Thörin genug, diesen Spuren seiner Flatterhaftigkeit einen gutherzigen Anstrich zu geben. – O Weiberherz, wie truglos bist du, wenn keine grobe Leidenschaften deine Gestalt verunedelt haben. – Nächstens eine nähere Beschreibung von ihm. – Lebe indessen zufrieden in den Armen deines vortreflichen Karls. –

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 206-208.
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