CLIII. Brief

An Fanny

[215] Meine neue Lebensart thut herrliche Wirkung! – Ich werfe in öffentlichen Gesellschaften mein Nez aus, fange lüsterne Fliegen, und lasse sie dann wieder aus, wenn ich sie genug gequält habe. Die Zahl meiner kriechenden Sklaven[215] vermehrt sich täglich. – Ich sehe sie mit kaltem Gefühl kommen, und lasse sie wieder mit leerem Herzen abziehen. – Es ist doch ein elender, freudenloser, bettelmäßiger Zustand um ein Herz ohne Liebe! – Aber es ist auch ein schaudernder Gedanke um die Furcht betrogen zu werden! –

Also wieder zu meinen Müßiggängern zurük, die in galanter Beschäftigung um mich herumsumsen. – Wie sich die eiteln Thoren zu mir hindrängen! – Wie sie um meine spöttische Unterhaltung wetteifern! – Wie einer den andern zum kritisiren reizt! – Wie jeder mit Emsigkeit um den Vorzug buhlt! – Und wie ich troz alle dem dies Fliegen-Geschmeiß in einer gewissen Entfernung zu erhalten weis, daß keiner unverschämt wird. – Das ist wahrlich kein kleines Studium. – Die Klugheit eines Weibs hat doch gränzenlose Auswege, wenn sie Welt- und Menschenkenntnis besizt. – Es soll mir gewis keiner meinen Plan verderben, eh ich des Plagens von selbst müde werde; – dann will ich mich in philosophischer Stille der Einsamkeit zuziehen, und lachen, oder weinen, wie es meine Laune mit sich bringen wird. – Ich habe meine Helden in Klassen eingetheilt, und weis jedem nach Verdienst zu begegnen. – Alle tragen ihre Schellen-Kappen, und jeder behauptet seinen eigenen Ton. – Zum Exempel: –

Der Dummkopf schwazt Unsinn; der Prahler schwadronirt; der Stuzzer spricht von wichtigen Kleinigkeiten; der Waghals poltert; der Hagestolze schimpft über die Ehe; der Vielwisser läßt Lügen schneien; der Großsprecher rühmt sich ungeschehener Dinge; der Zier-Affe seufzt über die feuchte Witterung; der Gek läßt sich bewundern und erzählt seine Eroberungen; der Wollüstling bietet seine Schatulle an; und der verhärtete Bösewicht posaunt die genossenen Gunstbezeugungen aus; u.s.w. – Kurz, jeder thut das seinige, um mir die Langeweile zu vertreiben, oder einem[216] Nebenbuhler Galle zu machen. – Das Ungeziefer vertilgt sich selbst untereinander. – Sie nekken, foppen, schikaniren sich, verdrehen einander die Worte, daß es einem wahren Lustspiel ähnlich sieht. – Ich nehme dann oft die Parthei von diesem; satirisire einen andern, beschäme einen dritten, oder nekke einen vierten, bis keiner mehr weis, wo ihm der Kopf sizt. – Dann stehen sie da, die Maulaffen, starren sich wechselsweise an, und lachen einander selbst aus. – Dazu hab ich's schon öfters gebracht. – Eine meiner Freundinnen, ein biederes, braves Weib, die mein schuldloses Herz kennt und bei dergleichen Auftritten immer an meiner Seite sizt, lacht oft aus vollem Halse, und wünscht ihnen dann beim Weggehen gute Verdauung! – Nur einer von diesen Schmetterlingen macht sich besonders zudringlich. – Die Natur macht ihn zwar durch sichtbare Merkmale kennbar, die jedes gutgesinnte Herz vor ihm warnen können. – Wahrlich, die Natur lügt nicht an ihm; denn seine Seele ist eben so verdreht, eben so disharmonisch, wie der schielende Blik seiner Augen. Er kann schleichen, heucheln, lügen, betrügen, hofiren, spioniren, karessiren, prahlen, verläumden, Ehr abschneiden, – alles in ausgelernter Uebung. Seinen welken Körper, seine kranke Seele trägt er überall an, und wird auch überall abgewiesen. – Er besizt die unverschämte Kühnheit, alle Frauenzimmer nach einem Schlag zu beurtheilen. Die vielen Lustnimphen, die er ehedessen besuchte, haben sein Gehirn mit Vorurtheil angestekt, daß er glaubt, unter dem Frauenzimmer finde keine gute Ausnahme mehr Statt. – Er treibt seinen Verdacht so weit, daß er so gar wegen der Aufführung rechtschaffener Personen öffentliche Wettungen anstellt. – Dieses doppelzüngige Ungeheuer hat nun seinen Eigensinn auf mich festgesezt. – Aber nur Geduld, du sollst deinen Theil Galle schlukken! – Bei allen seinen Ausschweifungen habe ich die neidigste Eifersucht[217] an ihm bemerkt. – Anlaß genug – um ihn tausendfach zu kränken. –

Nun sagt mir noch einmal ihr Menschenkenner, daß Eifersucht die Folge der Zärtlichkeit sey, – wenn sie in einem solchen verdorbenen Wollüstling stekken kann! – Bald ein mehreres, meine Freundin; für heute genug – nicht wahr? –

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 215-218.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen