CLV. Brief

An Fanny

[221] Meine theuerste, liebste Freundin! –


Sey doch ruhig! meine fieberische Hizze hat sich gelegt; der abscheuliche Nebel ist vor meinen Augen verschwunden; mein Blut strömt wieder gelassener, und ich schäme mich izt meines Leichtsinns! – Wie konnten mich doch die Thorheiten Anderer ergözzen, die sich unterdessen über meine eigenen belustigten? – Wo nahm ich die Geduld her, in Gesellschaften der großen Welt meine Ohren mit Unflat anfüllen zu lassen, da sich indessen mein unverdorbenes Herz darüber entsezte? – Eroberungen von dieser Art sind der Auswurf der Natur, weil dadurch gutdenkende Frauenzimmer so leicht verführt werden. – Und ich Verblendete erinnerte mich nicht eher an diese Wahrheit, bis jener schielende Wollüstling mich zur feilen Buhlerin herabwürdigen wollte! –

Bei einer Gelegenheit, wo seine verabscheuungswürdigen Begierden den höchsten Gipfel erreicht hatten, nahm er seine Zuflucht zum elendesten Hülfsmittel, das man jeder Verworfenen anträgt – zum Eigennuz. – In einer unbegreiflichen Geschwindigkeit lag ein Wechsel in meinem Schoose. – Nur der Wohlstand hielt mich noch zurük, das Papier in Stükke zu zerreissen und ihm dieselben ins Angesicht zu werfen! – Schon hob ich in dieser Absicht meine Hand in die Höhe, als ich darauf die Unterschrift jenes jungen Mannes erblikte. Eine Andere würde sich vielleicht aus Rache an dieses Geschenk gehalten haben, um denjenigen als Schuldner demüthigen zu können, der auf eine so niedrige Art bei mir eine Bekanntschaft endigte, die er mit so vielen Betheurungen der Liebe[221] angefangen hatte. – Aber auch nicht der kleinste Gedanke einer solcher Entschädigung stieg in meiner Seele auf. – Ein ängstliches, wehmüthiges Gefühl bemächtigte sich meiner; die Thränen rollten häufig auf meinen Busen, und schluchzend stellte ich dann dem Wollüstling den Wechsel wieder zu. – Beleidigte Ehre über diesen schändlichen Antrag, erneuertes Andenken an den Unwürdigen, das Wonne-Gefühl mich nicht rächen zu wollen, erzeugten in mir ein Gemische der unbeschreiblichsten Empfindungen. – Izt erst fieng ich an zu fühlen, welchen Beschimpfungen mich meine leichtsinnige Schäkkerei ausgesezt hatte. – Ich empfand die ganze Demüthigung dieser Behandlung; sah mich erniedrigt, herabgesezt und empfindlich beleidigt! – Mein Herz, meine Ehrliebe, meine Vernunft und meine moralische Ueberlegung wachten plözlich in mir auf; und nun trat meine sonst gewöhnliche tiefsinnige Laune wieder an ihre vorige Stelle. – Sey mir gesegnet Nachdenken! dir allein habe ich meine Rükkehr zu danken, und durch dich werde nun jede meiner Handlungen geleitet, welche Bezug auf meine Ruhe, auf die Verbesserung meines Herzens, auf meine Glükseligkeit haben kann. –

Bist Du nun mit deiner reuigen Freundin zufrieden, liebe Fanny? – Würdest Du mich wohl zanken, wenn ich Dir izt die Nachricht von einer neuen Bekanntschaft mit einem jungen Manne mittheilte? – Aber gewis einer Bekanntschaft, die Dir in Rüksicht meiner keinen Kummer machen darf, und die meiner Achtung nicht unwürdig ist, sonst würde ich sie nicht angefangen haben. –

So viel kann ich Dich versichern, daß der erste Besuch dieses Jünglings meine ganze Aufmerksamkeit rege gemacht hat. – Sein offenes Wesen ist beim ersten Anblik äußerst auffallend, begleitet mit einem gewissen edeln Stolz, der sich nicht zu den gewöhnlichen Schmeicheleien herabwürdigte, womit mich sonst die meisten jungen Leute überhäuften. –[222]

Noch ist zwar das Mistrauen gegen das männliche Geschlecht zu tief in mein Herz eingeprägt, um die guten hervorragenden Züge des moralischen Karakters eines Individuums aus demselben in unserm verdorbenen Jahrhunderte nicht für eine blose Erscheinung zu halten. – Vielleicht bald ein mehreres von diesem jungen Manne. – Lebe indessen wohl, meine Beßte, und erinnere Dich recht oft an

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 221-223.
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