LXXXI. Brief

Amalie an Fanny

[3] Liebenswürdigste! –


Ich habe Dir heute eine sehr interessante Begebenheit zu erzählen, und kann mich also nicht an die Beantwortung deines lezten Briefs binden. Zudem ist ja der Inhalt desselben auch schon beiderseits beantwortet, also nichts weiter davon! Es wird Dir aber fast unbegreiflich scheinen, wenn ich Dir sage, daß mein Mann zu seinen übrigen Fehlern auch noch Tollkühnheit hinzusezt. – Eine Tollkühnheit, die vom wahren Muth zu weit entfernt ist, um Lob zu verdienen. – Aber nun höre! – Ganz von Ungefähr lief vor einigen Tagen durch unsere Unteroffiziere die Nachricht ein, daß sich an dem jenseitigen Ufer des hiesigen Flußes sechs sehr wohlgewachsene Desertörs aufhielten, die auf einen fremden Werboffizier paßten, der sie anwärbe und übers Wasser brächte. – Eigennuz und Unbesonnenheit rißen meinen Mann bei dieser Nachricht bis zum kühnsten Entschluße hin! – Er wagte es ohne Ueberlegung, mit seinem Bedienten in falscher Uniform ein fremdes Gebiet zu betretten, wodurch er Ehre und Leben aufs Spiel sezte, wenn mich nicht die Vorsicht noch frühe genug zu seiner Rettung gesandt hätte. – Ich beschwur ihn mit ängstlicher Ahndung, einen Schritt zu unterlassen, der mein ganzes Wesen erschütterte! – Aber es half nichts; er lief wie ein Rasender von der Werbungswut beseelt zu einem[3] Schiffer an unserm Ufer. Donnernde Offiziersdrohungen und Geld beschleunigten eine Fahrt auf deren Unternehmung mit Militärpersonen der Verlust des Kopfes steht, wenn ein Schiffer es wagt solche Dienste zu leisten. – Aber genug, die kleine Reise gieng vor sich, und bald kam mein Mann an den Ort hin, wo diese Unglüklichen mit heißhungriger Rettungsbegierde seiner warteten. – Er fand sie in einer Scheune aufs Stroh hingestrekt, mit Verzweiflung und Hunger ringend. – Schon mehrere Tage harrten die Elenden unter Kummer und Jammer auf den nahen Tod, den ihnen Verzweiflung oder Strafe drohten, wenn sie entdekt würden. – Muthlos lagen die Kerls mit dem ängstigenden Gefühl des Verbrechens im Herzen da. – Blos mit leichten Leinwandkitteln bedekt starrten ihre sonst nervigten Glieder vor dem rauhen Frost des herannahenden Winters. – Die Furcht erkannt zu werden, machte sie diesen armseligen Anzug wählen. Einige davon fluchten jezt bei reiferer Ueberlegung ihrem Schiksale, das sie sich selbst so unbesonnen zugezogen; andere würden gerne den Rükweg angetretten haben, wenn sie nicht die Furcht der Strafe davon zurükgeschrökt hätte. – Endlich kam mein Mann und kündigte ihnen eine Erlösung an, bei der er selbst alles wagte, um sie zu Stande zu bringen. – Nun wurde die Abrede genommen und der Entschluß gefaßt, erst bei der dunkeln Nacht den Weg ihrer Rettung miteinander anzutretten. Das Schwelgen raubte nun Allen die Besinnungskraft, und keiner davor ahndete das nahe Unglük, das ihnen wegen der herumstreifenden Häscher drohte. Meines Mannes Bedienter allein blieb bei gesundem Verstand, und eilte, so geschwind er konnte, auf seinem Pferd zu mir zurük. – Todesfurcht hatte unterdessen meine Einbildungskraft gefoltert! – Schon sah ich meinen Mann in den Händen der Gerechtigkeit für sein Vergehen bluten! – Der Bediente[4] traf mich in einer Verstimmung an, die an stumme Verzweiflung gränzte! – Seine Erscheinung ohne meinen Mann drang mir ein lautes Geschrei ab, denn er schien mir ein Bote des Unglüks zu seyn. Der gute Kerl beschwur mich um Gotteswillen meine Sinnen zu sammeln, und auf eilige Mittel zu denken, seinen Herrn aus dieser schröklichen Gefahr zu retten! – Unglük macht erfinderisch, und die Angst bringt oft gute Köpfe in der Eile zu den beßten Entschlüßen. – Von der Furcht getrieben riß ich schnell meine Kleider vom Leibe, zog bürgerliche Mannskleider an, lies mir ein Pferd satteln und meine Frauenzimmerkleidung dem Burschen in den Mantelsak stekken. Wie wir beide eilten, kannst Du leicht denken, und daß unsere Eile nöthig war, ist unstreitig; denn kaum waren wir ein halbes Stündchen vorwärts galoppiert, so begegneten uns jene fürchterlichen Diener der Gerechtigkeit, die auf dem Lande herumstreiften, um Strafbare aufzufangen. – Diese schnurrbärtigen Männer hielten den guten Lorenz an, und fragten nach meinem Namen, da ich gerade eine Strekke Weges vorausgeritten war. Aber der brave, treue Kerl hatte Muth genug, ihnen trozzig zu erwiedern: »Mein Herr ist ein Jurist aus dieser Gegend, der sich mit einem Spazierritt erlustigt.« Doch ohne ihre Antwort abzuwarten, spornte er sein Pferd, und wir kamen in einer Stunde an den Ort, wo mein verwegner Mann ruhig im Taumel des Schlafes schnarchte. – Kaum vermochte ich so viel über den flegmatischen Wagehals ihn leise zu bereden meine Kleider anzuziehen, seine Uniform mit Steinen beschwert ins Wasser zu werfen und auf meinem mitgebrachten Pferde zurükzureiten. Zum Glükke schliefen die berauschten Desertörs hart genug, um von unserer Unterredung nichts zu vernehmen, sonst wären sie aus hofnungsloser Verzweiflung vielleicht die ersten Verräther an meinem Manne geworden. Denn nun war für diese Armseligen alle[5] Hofnung der Rettung verloren. – Sie mußten entweder ihren Rükken der Spiesruthe bieten, oder sich ins Wasser stürzen, da sie ohne Beistand eines Schiffmanns nicht überkommen konnten. – Während dieser geheimnisvollen Umkleidung mußte der wakkere Lorenz Wache halten; dabei sah er mit bebendem Herzen die Häscher in der Gegend umher lauern. – Mein Mann stund izt in Bürgerskleidern bereit zum Rükweg, und ich hatte nun auch meine mitgebrachten Frauenzimmerkleider wieder angezogen. – Endlich sezte sich mein Mann aufs Pferd und sprengte mit Lorenz in diesem Aufzug unerkannt vor den herumschwärmenden Häschern vorbei! – Meine List hatte den erwünschtesten Erfolg, man sah ihn jezt für mich an. Laut pochte aber mein Herz bei dieser gewagten Unternehmung, die vor meinen Augen eine fürchterliche Wendung hätte nehmen können, weil man schon lange zuvor bei ähnlichen Anläßen der Kühnheit meines Mannes nachgespürt hatte. – Ich folgte mit bebenden Schritten hintendrein zu Fuße, und sah meine Flüchtlinge den Zoll ohne Anstand paßiren. Das Glük war auch meiner Verkleidung günstig, und bei meiner glüklichen Nachhausekunft dankte ich feurig dem Vater im Himmel für diesen Muth bei Drangsalen von so besonderer Art! – Mein Mann schien sich der überstandenen Gefahr zu freuen; aber doch wurmten ihm noch die schönen hinterlassenen Rekruten im Kopfe. Statt des Dankes erhielt ich von ihm ein unzufriedenes Gebrumm über übereilte Zagheit eines furchtsamen Weibes und so weiter. Mein Oheim hingegen drükte und küßte mich für diese Handlung. – Du, meine Fanny, sollst mich aber bei Leibe nicht darüber loben. – Hörst Du, Liebe? Besser, gar keine Antwort auf diesen Brief! Denn Du weist ja, Lob verderbt nur zu gerne das ohnehin so sehr zur Eitelkeit gestimmte Herz eines Weibes. – So denkt Dein


Dein Malchen.[6]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 3-7.
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