XCII. Brief

An Fanny

[42] Denk um aller Welt willen, liebe Fanny! – Denk, das Weibergeschmeiß hatte den Muth mich beim hiesigen Bischoff wegen der Aufführung des Trauerspiels zu verklagen. Die bissigen Schlangen raunten heulend und schluchzend diesem Manne manche Lüge ins Ohr, die ihren Klagen über mich sicher Gewicht gegeben hätten, wenn sie nicht zum Glükke an einen würdigen, vorurtheilfreien Mann gerathen wären. – Dieser brave, unpartheiische Richter lies unsere Oberin nebst mir zu sich rufen, und foderte mit Sanftmuth und Menschenliebe Beruhigung über eine Sache, der man den Schein des Bösen angehängt hatte. – Was mir die Kühnheit dieser Weiber im Kopfe wurmte! O das kann ich Dir nicht genug sagen! Demungeachter aber antwortete ich dem Bischoff mit einer satirischen Fassung, die mehr an Spott[42] als an Bitterkeit gränzte. – Der vernünftige Vorsteher lachte am Ende selbst über die tolle Grillenfängerei, womit die Weiber ihn bestürmt hatten. – Nun durfte ich frei eine Unternehmung fortsezzen, auf der ich jezt eigensinniger als jemals beharrte. – Die Andächtlerinnen verkrochen sich während dieser Zeit brummend in ihre Zellen. Eine lief izt zur andern, und es gieng an ein heimliches Flüstern, daß der Himmel sich darüber hätte erbarmen mögen! – Ebenfalls von Galle gereizt, lies ich diesen Friedensstörerinnen geradezu den Eintritt in mein Schauspiel verbieten, und kümmerte mich wenig um die ihrige, die sie jezt untereinander über mich versprüzten. – Alle meine Anstalten zum Stük waren so lärmend, so pompös, daß ich dadurch nicht wenig, ungeachtet ihres Zorns, die Neugierde dieser Bigotten reizte. – Kaum hatten die schönen Vorbereitungen ihren Anfang genommen, und die glänzende Gesellschaft von Zusehern sich versammelt, als eine nach der andern, aus Neugierde hinzuschlich, und sich unter der Menge versteckte. – Der Saal war enge angefüllt von Zusehern, welche größtentheils die Begierde zu spotten hergetrieben hatte, weil sie hier hinlänglichen Stoff dazu zu finden glaubten. – Schöngeister, Stuzzer, Muttersöhnchen, Maulaffen, Komödianten, allerhand Zeugs hatte sich ungeachtet der guten Anstalten unter die Zuseher gedrängt. Nur die Noblesse saß voll nachsichtlicher Erwartung stille an ihrem angewiesenen Orte – und machte ihrer Erziehung nicht durch voreiligen Spott Schande; wenigstens geschah es nicht laut. Schon bei den Proben hatte ich von Kennern zu vielen Beifall in einer Rolle erhalten, die zu sehr zu meiner Schwermuth paßte, als daß mich izt Bangigkeit hätte überfallen können. Auch selbst meine Schülerinnen waren zu gut geübt, um nicht weit erträglicher zu spielen, als so viele hölzerne Schauspieler, die mit ihrer stumpfen gefühllosen Seele so manches gute Publikum verstimmen.[43] – Endlich war das Stük aufgeführt, und Vernünftige waren mit uns zufrieden, Fühlende weinten, Spötter schwiegen, und einige gegenwärtige eitle Gekken schlichen beschämt davon. – Mehrere Personen kamen zu mir hinter die Koulissen, und küßten mich wegen meiner wohlgespielten Rolle mit einer Begeisterung, die mich entzükte. – Ich fühlte aber auch ohne Eigenliebe mit meiner eigenen Theaterkenntnis, daß uns Allen, außer gehöriger Einrichtung des Theaters, nicht viel zur guten Aufführung eines Stüks gefehlt hätte, dessen Gang rasch auf einander folgte, so wie es die Leidenschaften erfoderten. Selbst die boshaften Frazzengesichter von Nonnen weinten über die richtige Vorstellung des Gefühls. – Reichlich durch den allgemeinen Beifall für die Verdrüßlichkeiten belohnt, die ich vorher auszustehen gehabt hatte, verlies ich mit innigem Vergnügen den Gartensaal. Gewis, Freundin! – Es kostet mich Mühe, diesem leidenschaftlichen Hang fürs Theater zu widerstehen. – Aber der Himmel bewahre mich ja vor seiner Befriedigung an öffentlichen Oertern! Nein außer der dringendsten Noth würde ich nie so einen Schritt wagen! – Zu viel kenne ich die jezzige schändliche Verfassung der meisten Bühnen, als daß mich nicht eine solche Aussicht abschrökken sollte! – Leb für izt tausendmal wohl, gute, beßte, liebste Freundin!


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 42-44.
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