XIX. Brief

[39] Nachts um zwölf Uhr.


Lieber Theurer! – Endlich von der Gesellschaft zurük, und nun zu Dir mit warmem Herzen, das so sehnlich auch mitten im Getümmel nur nach Dir klopfte. – In der Gesellschaft gieng es heute sehr ungezwungen zu, jedes schäkkerte nach seiner Weise. – Die K... sang allerliebste naive Liedchen, ich wizzelte, ihr Mann machte Verse, R... lachte, J... nikte uns Beifall zu, und seine Frau stellte sich auch gar nicht[39] uneben. – Wir aßen ziemlich lekkerhaft, aber ohne die geringste Ziererei, gut Teutsch, und blieben bis neun Uhr Nachts beisammen.

Wir Weiber trieben die Männer recht sehr in die Enge, daß sie alle nichts mehr zu antworten wußten, bis endlich zween Franzosen sich dazu gesellten, da wurde ich auf einmal finster, weil ich ihre Narrheit nicht leiden kann. – Ich glaube diese Windbeutel hüpfen einst noch über den Sarg hinweg. – Die K... bemerkte meine üble Laune und strich den Springern meine Wenigkeit gar zu sehr heraus; bald hätte mich diese Eitle roth gemacht. – Was kümmert mich der Beifall dieser französischen Affen? – Endlich führte mich die Familie J... zu Hause, und ich traf ... Wen? – das weist Du leider schon. – Ich muste mit ihm wider meinen Willen noch einige Gaßen durchschlendern, aber überall vermißte ich Dich! Daß Du mir doch gar nie begegnest, wenn ich Dich gerne haben möchte! – Wo bist Du denn jezt? – Denkst Du auch an Deine Nina? – Ist es Dir auch so sehnsuchtsvoll um's Herz, wie mir? – O lieber Friz, wenn sie nur schon vorbei wären die Tage der unerträglichen Trennung! – –

Noch einmal danke ich Dir für die warmen Küße, die Du mir heute in die Gesellschaft mitgabst, ich war so munter, weil ich Dich noch zuvor gesprochen hatte. – Ich bin doch ein eigensinniges Ding in Sachen, die mein Herz betreffen, o da sollte mich selbst die Hölle nicht davon abhalten können! – Die Liebe hat sich an mir vergriffen, sie warf mir einen Theil mehrerer Zärtlichkeit zu, als andern Weibern, alles macht mir Freude, was ich mit Deinem Andenken heiligen kann, die Natur, die Menschen, alles ist mir jezt lachender, weil Du für mich lebst. – O die Menschen ohne Liebe müßen wohl recht elend seyn! – Nichts in der Schöpfung zu haben, an was man sich ketten kann, Ha! – Das ist wohl recht sehr traurig! –

Und wie fühlst denn Du Dich, Trauter? – Sage mir[40] doch morgen mit tausend Küßen, daß Du das nämliche fühlest. – Traurig wünscht Dir nun Deine Nina gute Nacht – aber eben so liebevoll, wie an unserem Brauttage. –

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 39-41.
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