XX. Brief

[41] Nein, Friz, so einen Tag, wie der heutige, möchte ich nicht wieder erleben! – Wie es mich so schröklich auf dem Herzen preßte; wie Dein bedaurungswürdiger Kampf mich erschrökte! – Gott im Himmel, ich trage es nicht länger! – Ach! – Schone meiner, Friz, sonst muß meine Gesundheit wanken. Du warst zwar zurükhaltend und bescheiden, aber Deine Leiden drangen doch in mein Herz. – Ich fühlte, daß Furcht und Angst meine Seele peinigten, ich fühlte, daß sie verloren seyn würde meine Ruhe, wenn Du nicht der Rechtschaffene bleiben würdest, für den ich Dich hielte, – Heimlich fluchte ich meiner Lage, dem Schiksal und mir selbst, Du konntest meinen Kummer nicht bemerken, weil Dein eigner Dich zu sehr betäubte. Die Thräne, die ich weinte, war bitter über die Entdekkung unserer beiderseitigen Schwäche. – Himmel! – Wie unglüklich wäre ich, wenn meine Sinnen sich verirrten, eh wir ganz beisammen sind! – – –

Furcht würde mich peinigen, Verzweiflung mein Herz zerreißen, ich würde es lebhaft vor mir sehen, das Grab unserer Liebe! – – O wenn Du mich liebst, kniefällig beschwöre ich Dich, mir diesen Gram zu ersparen! – Edler, guter, biederer, teutscher, junger Mann, halte es nicht für Ziererei, es ist blos zitternde Furcht, Dich durch zu frühe Verbindung zu verlieren. – Bei diesem kummervollen Herzen, bei dieser von Leidenschaft gespannten Brust, bei meinem verwirrten[41] Kopf, schone Dich, schone mich! – Du warst zwar nicht unbescheiden, nicht zudringlich, aber, um Gottes willen, laß mir Deine Kämpfe nicht wieder so leicht bemerken! – Laß mich ruhig an Deiner Seite Deine Seelen-Vorzüge genießen, wenn Du mich liebst, wenn Du nicht haben willst, daß ich mich zu Tode gräme! – Mitleiden könnte mich bemeistern, ich könnte mich verirren zu meiner Qual, zu meinem Elende! – Ha! – Wie es mir jezt schon so Angst ist! –

Das war heute seit unserer Bekanntschaft der schröklichste Tag! – Die schröklichste Schwermuth, die ich je fühlte! – O Friz, wenn Du fühlen könntest, was ich heute litte! – Hilf mir tragen, sonst sinke ich zu Boden! – –

Bedenke einmal mein Elend bei der Bekanntschaft mit einem Menschen, der mich betrügt, erniedrigt, mit einem Herzen voll Leidenschaft für Dich. Friz, rufe Deine Vernunft zu Hülfe, sonst verlierst Du das Weib, das Deine Tage segnen soll! – Sey klug, überdenke die Gefahr, und thue, was Dir Deine Moral eingiebt. – Mein Mädchen ist Zeuge meines Zustandes, trostlos lag ich heute im Seßel, trostlos ohne Dich, blos in der Gesellschaft meines Kummers! – Und Du, guter Jüngling, wußtest nicht, fühltest nichts von mei nem Zustande? – Wärst Du gegenwärtig gewesen, Mitleid hätte Deine Leidenschaft übertäubt, Du würdest sie in Ketten geschloßen haben, die Triebe Deiner Natur! –

Wenn ich doch nur weinen könnte, ich möchte mein Schnupftuch zernagen, ich möchte die Stadt durchlaufen um mein Blut abzukühlen! – Friz, reiß es heraus dies elende Herz, das Empfindungen nährt, die mich elend machen! –

Fliehe mich! – – – Doch nein, um Gotteswillen nicht! – Heute leidet mein Verstand, ich merke es. – Wärst Du nicht, ich wollte der Liebe entwischen, ich wollte ihm Erleichterung schaffen diesem tirannischen Körper. – Heiland! – Was ich schwärme! Ins Tollhaus, ins Tollhaus[42] mit einer solchen Närrin! – – Würde die rohere Gattung der Menschen sagen, wenn sie mich izt sähe. – Der Kopf ist mir auch so verstimmt, rette mich, ich beschwöre Dich, Du hast meine Seele auf Deiner Rechnung! – Fort zu Bette mit der armen kämpfenden

Nina.

Morgens.

Ich bin matter, Friz, aber nicht viel ruhiger, Gott, noch so eine Nacht, wie die vorgestrige und die heutige, mit so einem Tag begleitet, wie der gestrige, dann bin ich gewiß weg! – –

Ich habe wieder geträumt, daß ich in Deinem Hause war, und daß mir Deine Mutter erniedrigend begegnet wäre; der Vater aber seye milder gegen mich gewesen. – Als ich erwachte, war das Kopfküßen naß von meinen Thränen. – Es spannt mich heute wieder schröklich auf der Brust, schikke mir Deinen Arzt, aber um Gotteswillen kümmere Dich nicht! – Es ist meine gewöhnliche Schwermuth durch Leidenschaft und Thränen aufgewekt. –

Morgen sehe ich Dich, und solltest Du auch nur auf einige Minuten kommen können. Bleib heute zu Hause, Du würdest mit mir nicht allein seyn können. Tausend Küße von Deiner lieben

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 41-43.
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