XXXVIII. Brief

[73] Guten Morgen Herzens-Mann! – Guten Morgen! Hast Du auf den gestrigen schönen Abend wohl geschlafen? – Ich nicht ... aber doch träumte mir von Deiner Liebe, o sie erschien mir in Engels-Reinheit! – –

So glänzend wie die schöne-Morgensonne, und so voll Trost für künftige Glükseligkeit, daß ihr unmöglich ein Sturz drohen kann. – Du feuriger Biedermann, wie Du gestern Abend so beredt, so innig das Wort nahmst! – Und doch drang mir eine von Deinen Reden etwas ins Herz; studiere doch meine Empfind samkeit beßer. – Es ist wahr, ich beleidige durch grillenhaften Kummer den Beßten auf der Erde, aber wenn man in der Liebe immer ist betrogen worden, und nie, bei Gott, nie betrogen hat, o dann zittert man über den bloßen Schatten! –

Die Treue Deiner Liebe wiegt mich zwar in den entzükkendsten Wonne-Taumel ein, aber desto schröklicher würgt mich dann der Gedanke Deines Verlusts, wenn er gerade zur nämlichen Zeit in mir unwillkührlich aufsteigt. – Trage Geduld mit mir, bald hört dieser Kummer auch auf. – Noch habe ich eine harte Prüfung, Abwesenheit auszustehn, aber dann entweder Tod, oder glüklich, ungestört an Deiner Seite, geschworen sey es!! 1 –

Du stellest Dir meine Abwesenheit immer leichter vor, täusche Dich nicht, Holder, sie ist hart, und sie wird Dich vieles kosten! – Denn jezt sind wir an die lieben göttlichen Stunden unsers Umgangs zu sehr gewöhnt. – Gott gebe Dir mit mir Stärke, und so wollen wir harren bis sie reif wird die Glükseligkeit unserer Vereinigung. – Nun lebe wohl, innig geliebter Friz, das wünscht Dir Deine liebende

Nina.[73]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 73-74.
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