XXXIX. Brief

[74] Guten Morgen theurer Gatte! – Guten Morgen, nebst einem warmen Mäulchen. Ich habe heute Nacht wieder mein gewöhnliches Schiksal erlebt, folglich gar, auch nicht eine Stunde geschlafen. – Bist Du jezt wieder gelaßner? – Ist Deine kleine gestrige Wildheit vorüber? – – Hast Du keinen Verdruß gehabt? – Alles kümmert mich, was Dich angeht, so bald ich keine Gewißheit davon weiß. –

Gestern Abend war ich recht boshaft, nicht wahr? – Warum hast Du aber auch so mit mir gebraußt? – Du weist doch, daß ich es nicht leiden kann. – Gewöhne Dir es doch ab – oder – ich fange mich wieder an zu schminken, ganz gewiß thue ich es Dir zu Leide, wenn Du Dich nicht beßerst. – Hörst Du! – – –

Uebrigens ist es recht gut, Herzchen, daß wir bald in eine andere Lage kommen, es wird Dich wohl auch, wie mich, recht sehr darnach verlangen. – Ich wenigstens kann diese Abänderung kaum erwarten. – An einem andern Orte können mir doch Deine Verwandten Deinen ahnenmäßigen Adel nicht mehr vorwerffen, auch ihr Reichthum wird mir nicht ferner unter die Nase gerieben werden. – – Kurz das Vorurtheil, das unsere Verbindung bis jezt so unmenschlich hinderte, wird an einem fremden Orte aufhören müßen. – O wäre der Augenblik nur schon da! – Der Zwang ist mir zur Last, er ist mir wieder die Natur, Dir nicht auch? – Denke Dir, wenn Du einstens frei neben mir schwärmen kannst ... nein, ich will diese Wonne lieber nicht vollkommen ausdenken, sonst macht sie mich noch ungedultiger. – Heute sehe ich Dich doch!

Nina.[74]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 74-75.
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