IV. Brief

[10] Nachts um eilf Uhr.


So eben verließ ich ein freundschaftliches Nachtmal; und warum sollte ich dem guten, lieben Friz nicht Rechenschaft vom heutigen Tage geben? Aber zuerst will ich dem Lieben Saz für Saz seinen Brief beantworten. – Daß[10] Sie gestern in etwas von Ihren Grundsäzzen abglitschten, ist Ihnen herzlich vergeben, nur wollte es meinem Stolz nicht schmekken, daß Ihr voriges Mädchen auf reinere Liebe Ansprüche hatte. Mehrere Zurükhaltung ihrer Triebe ist mir bei meiner würklichen Verfassung nöthig; weil dies gerade das ist, was mir Standhaftigkeit in der Liebe verspricht, und was Sie so himmelhoch von andern Männern unterscheidet. Wären Ihre Triebe gröber, so würde mir bald der Sturz Ihrer Liebe drohen, aber so glaube ich, daß Sie sich nicht so leicht können von mir reißen; ist Ihnen also meine Ruhe lieb, so handeln Sie, wie bisher. Sie schliefen die vergangene Nacht ruhig? Gott segne diese Ruhe; auch ich schlief so ziemlich; nur war es mir enge um die Brust. Nicht wahr Freund? – Sie können mich nicht weiter mit Nachrichten von Verläumdungen kränken; dafür kenn ich Ihr Herz. Es müßten nur neue Schurkenstreiche dieses Herz verwildern, und das wolle der Himmel verhüten!

Doch wieder zu meinem Kummer zurück, der mir von einer teuflischen Verläumdung aufgebürdet wurde; dieser garstige Verdacht in meinem Wandel ist der erste, der mir seit acht Monaten zu Ohren kam. Ich würde darüber gelacht haben, wenn er nicht gerade an den gerathen wäre, der mir das Theuerste auf der Welt ist; blos um deinen Verlust zittere ich, die übrigen Thränen der Unterdrükkung sind süß; denn Unschuld erleichtert sie. – Aber noch mein Beßter! weiß ich keinen dritten Ort, wo wir uns sehen könnten; bei K.... kann es nicht seyn. – Lieber gar nicht sehen, als sich mit Zwang sehen. – Holbauer ist ein Schurk, und weiter nichts. Sie haben ihn brav bei der Rase herumgeführt? Vielleicht glaubt er bei mir izt seinen Roman anzufangen; aber er wird so abgewiesen werden, daß er sich's gar nicht vermuthen wird. Und hiemit genug über diesen Buben.[11] – Weißt Du auch lieber Junge! daß Du die Zierde Deines Geschlechts bist? – O Du verdientest ein beßeres Mädchen, als ich bin! – Guter Wille, ein fühlendes Herz, und eine mächtige Standhaftigkeit in der Liebe ist mein ganzer Reichthum. – Aber Gott! Gott! Wenn man deine Plane rükgängig machte! – Wenn Du nicht siegtest! Und wir führen dann so fort, unsere Herzen in einander zu gießen, und unsere Köpfe mit Leidenschaft zu erhizzen! – Heiland der Welt, wären wir nicht die Elendesten unter der Sonne! – Friz! Um Gotteswillen mache mir dann keine Vorwürfe; ich habe Dir alles zum voraus gesagt; ich habe Dich nicht mit Kunstgriffen gelokt, Du sankst freiwillig an meinen Busen, und der meinige kämpfte nicht lange. Denn es ist für ein und allemal wahr, wir beide harmoniren bis auf den kleinsten Punkt, das fühle ich, das sage ich mir alle Augenblikke. – Schark war eine Frazze gegen Deine Wärme; und nun hätte ich in so weit deinen Brief beantwortet. Aber izt zum heutigen Tag zurük, von sechs Uhr bis zehn Uhr hatte ich tödtende Stunden, weil ich auf Nachrichten von Dir wartete. Die Schuld der Zögerung lag zwar nicht an Dir, doch mag Dir meine Unruhe für ein andersmal zur Warnung dienen. Dein Brief war mir dann ganz natürlich willkommen, aber meine Freude trübte mich demohngeachtet bei Tische äußerst! – Ich gestehe es, Schark wandte alles an, um mich aufzuheitern, nur gelang es ihm nicht. – Nun raffte ich mich auf, und gieng zur Familie R.... Dort traf ich eine Menge Mädchen und Jünglinge an, die sich an der Seite der Hausfrau munter ihres Daseyns freuten; doch sah ich leider keinen Friz unter ihnen, folglich fühlte ich Drang! Mein Gott, was das für eine Unruhe ist! Wie die beßten Menschen mir auch nicht ein Theilchen meiner Leiden ersezzen können! Sonst war mir das gesellschaftliche Leben sehr[12] willkommen. Aber izt auf einmal zum schüchternen Kind zu werden. – Sag, wie gieng das zu? – Friz Du hast mir den Kopf verdrehet, Du bist mein Ruhestörer! – – Doch weiter. –

Von dieser guten Familie gieng ich zur lieben Freundinn Sch.... ihr Junge kam mir entgegen gehüpft, fiel mir um den Hals, herzte und küßte mich! – Der Bube heißt Friz! Friz heißt er! Wie herzlich gerne ließ ich mich von ihm küßen! Seine Mutter ist auch ein herzgutes Weib, und liebt mich feurig; ich konnte mich nicht enthalten, ich mußte ihr etwas weniges von meinen Drangsalen merken laßen; doch ohne Dich zu nennen. »Halten Sie ihn vest, meine Liebe, (sagte sie) halten Sie ihn vest; er mag heissen wie er will, nach Ihrer Beschreibung ist er Ihrer würdig, Sie verdienen gerade eine Seele, wie die seinige. Die übrigen Menschen taugen für Sie nicht. –« Endlich unterbrach man uns, dann lief ich an's Fenster, sah Dich aber nicht vorbeigehen. – Es drückte mich schröklich im Herzen, bis es nach und nach wieder etwas leichter wurde. – Die Gutherzigkeit dieser Familie gab meinem Kummer Linderung; man küßte, man herzte, tändelte mit mir von allen Seiten; – und kurz man hielt mich tausendmal schadlos für meine Feinde. – Und nun Friz höre! Einem zehenjährigen Jungen legte die Mutter folgende Fragen vor: – »Mein Sohn, wie muß einst dein Weib seyn, wenn du eine heirathest?« Sie muß Vernunft haben, antwortete der Knabe. Nun sagte ich, denn kann ich ihre Frau nicht werden. O ja schrie der junge Knabe, heute noch, heute noch! – Aber woher wissen Sie, daß ich Vernunft habe? – Hm! – plazte der Bube heraus. – Wenn man so schöne Briefe schreibt, und so in allen Gesellschaften gesucht, geliebt wird, wie Sie, dann[13] hat man gewiß Vernunft. – Dieses unschuldige Urtheil entzükte mich! Ich hätte mich im nämlichen Augenblik Engel zu seyn gewünscht, um für Dich genug Reize zu haben! – O mein Friz, ich bin nicht schön, habe keine blühende Gestalt, wie ists möglich, daß ich Dich feßeln konnte? Mein Karakter ist bieder, mein Herz ist gut, da sey Gott mein Zeuge! Aber kann das allein die feurigen Wünsche eines Jünglings ausfüllen? Kann mein redlicher Umgang Dich immer vor andern Wünschen sichern? – O Gott! Wenn mir manchmal solches Zeug einfällt, da möchte ich Dich bitten, daß Du Dich in Deiner Wahl nicht übereiltest! – Sieh', ich durchlöchere dadurch die schönsten Hofnungen meines Lebens, und das blos um Dein zukünftiges Wohl! – Ich will mich lieber selbst zu Grunde richten, um Dich zu erhalten! – O Friz! – Wie elend hast Du mich gemacht! – Wahrlich ich bin sehr, sehr verwirrt!!! – – Deine

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 10-14.
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