XLVII. Brief

[86] Ich bin gestern im Schreiben unterbrochen worden, Du warst doch nicht böse, daß ich so geschwind abbrach? – Freundinn Sch... kam auf mein Zimmer, und ich mußte schließen. Indessen dauern meine Leiden vom gestrigen Auftritt noch immer fort, o ich war die ganze Nacht durch so krank an Leib und Seele, daß es kein Sterblicher außer Dir zu fühlen vermag! – Du kennst mein Schiksal, Du weist mehr davon, als alle Andern, und Dich mußte gerade das Unglük treffen, eine Mißhandelte zu finden, sie zu lieben, Tage mit ihr durchzuweinen, die Du Beßter unter Freude und Wonne zu verträumen verdienst. –[86]

Nun denn du gütiger Gott im Himmel, laß mich dulden an der Seite eines so gütigen Gatten, eines Biedern, der es sich zur Pflicht machte, mich zu retten aus den Händen eines Undankbaren, der mich im Stillen so gräßlich martert! –

Mein Gott, ich spreche jezt so warm von Rettung, gerade als ob ich blos an Rettung und nicht an unsere Liebe dächte, die doch bei aller meiner finstern Schwermuth so brennend in meinem Herzen wohnt! Vergieb Theuerster, wenn Wehmuth mein erstes Gefühl war, ich bin Mensch, ich bin Weib, ich bin schwach, ich habe zu feines Gefühl, ich leide schon lange. – Stüzze mich, halte mich, wenn ich aus Schiksal hinsinke zum tiefsten Kummer, der so heimlich in meinem Busen wütet! – Ich weis, daß ich mir um Deinetwillen Selbsterhaltung schuldig bin, ich thue auch alles, was ich kann, aber ist es meine Schuld, wenn es mich bisweilen übermannt? Wenn der Gram in meinem Körper Wirkungen hervorbringt, die zu unterdrükken nicht mehr in meiner Gewalt stehen? – Ich will kämpfen, ich will dulden, ich will leiden, aber lange kann es deswegen gewiß nicht mehr dauern, es muß bald brechen, oder ich werfe mich Dir öffentlich in die Arme, kette mich fest an Dich, und Du magst dann thun was Du willst! – Meine Liebe wird Dich zum stärksten, feurigsten Mitleiden auffodern, Du wirst mir dann aus Barmherzigkeit eher den Dolch in's Herz stoßen, und mein Leben zu meiner Ruhe enden, wenn Dir das Schiksal, oder böse Menschen den Weg mit Gewalt abschnitten, mich zu retten! –

Nimm diesen Kuß mit der wärmsten Thräne des Kummers gemischt! – – Komm heute so frühe als möglich – und habe Gedult mit Deiner gebeugten

Gattinn. –[87]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 86-88.
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