LII. Brief

[93] Abends um zehn Uhr.


Nicht wahr, lieber guter Friz, gestern um diese Zeit war ich recht glüklich an Deiner Seite; genoß alle die Wonne, die Deine Liebe und Dein gutes Herz für mich aufbewahrt hatte? – Und heute? – O das war wieder ein verwünschter Abend! – Ich saß tiefsinnig am Fenster, während als Schark mit meiner Base zu Nacht speißte, ersterer hieß mich zu sich sizzen, und ich tolles, unverstelltes Ding that es nicht. – Dann brach er in die abscheulichsten Grobheiten aus, die ich mir durch meine Unvorsichtigkeit zugezogen hatte. – Ich träumte da gerade von Dir und hätte um Alles nicht loskommen können von dieser süßen Träumerei. – O Du lieber Einziger! – Mußt mich doch bald retten, ich beschwöre Dich! – Denn jeder Tag, denk Dir dies Wort, jeder Tag droht mir Mißhandlung. – Sieh Liebchen, ich kann es fast nicht mehr aushalten, Du wirst, Du kannst Deine Nina nicht mehr länger leiden laßen. – Eine ungedultige Thräne von mir verweint wäre Deinem empfindsamen Herzen[93] gewiß ein schröklicher Vorwurf. – Ich muß bald von hier weg, bald! –

Aber weißt Du auch lieber Friz, daß Du heute wieder allerliebst in Deinem Umgang warst? – Mir ist immer bange, daß Du in meinem Umgange nicht alle die schwärmerischen Reize entdekkest, die ich in dem Deinigen finde. – Dank sey nun freilich meiner lieben Einbildungskraft, die mir alles bis zum unwidersprechlichsten Zauber an Dir malt. – Ich bin auch so zufrieden mit meiner Wahl, daß es vielleicht wenige begreifen würden, die nicht so lieben, wie ich liebe. – Du bist aber auch der Jüngling, der leicht ein Mädchen finden würde, aber eine Liebe, wie die meinige, die täglich mehr wächst, daran zweifle ich bei der jezzigen Welt. – Wir sind in unserem Umgang wie zwei Kinder, zanken, weinen, küßen, moralisiren, schäkkern, alles wechselt so artig unter uns ab; das werden Tage werden! – – Das werden! – Freue Dich Lieber, freue Dich, ich will mich auch freuen, und nun Millionen Küße zur guten Nacht von Deiner

Nina.


Eine verwünschte Nacht war das. Friz, eine schlaflose, abscheuliche Nacht! – – Erst um ein Uhr legte ich mich zu Bette und vergaß die Fenster zu zumachen, da flog das Ungeziefer herein und quälte mich die ganze lange Nacht durch. – Du weißt, daß mein Zimmer auf's Wasser geht, und aus dieser Ursache fast immer mit stechenden Mükken angefüllt ist, wenn ich nicht gleich mit Sonnen Untergang die Fenster zuschließe. – – In Zeit drei Stunden war mein ganzes Gesicht angeschwollen und kein Auge konnte ich vor Schmerz schließen, dann kam über alles dieses noch ein starkes Donnerwetter dazu und schrökte mich auch ein Bischen! Als sich das Wetter verzogen hatte, sprang ich mit rasendem[94] Zorn aus dem Bette, und legte mich auf den harten großen Sopha, dahin dachte ich mir, werden gewiß die Mükken nicht so leicht kommen, weil der Sopha im Nebenzimmer steht, aber umsonst, auch da fanden mich die heißhungrigen Thiere, Du kannst leicht denken, wie es mir auf diesem harten Lager behagte? – – Ich glaubte, alle Knochen zu verlieren, konnte es durchaus nicht länger aushalten, schlug Licht, und beschreibe Dir jezt die tolle Nacht. – Der Schlaf drükt meine Augen sehr schwer, aber was mich noch am meisten ärgert, ist das abscheuliche Schnarchen meines Nachbars, der an der Seite seines leiben Weibchens, wie ein Kloz ruhig fort schläft, seine zähe Haut fühlt das giftige Beißen des Ungeziefers nicht. – Wie er so glüklich ist, der flegmatische Dummkopf, daß seine kalte Seele so kummerfrei die gütige Gabe des süßen Schlafs genießen kann, der mir nicht gegönnt ist. – O ich bin ärgerlich bis zum Unsinn! – Gestern Abends plagte mich ein zweifüßiges Insekt, und diese Nacht saugen viele hundert andere mein Blut heraus. – Wärest doch Du nur da, dann wollte ich noch gerne alles dulden, ich wollte mir mein wundes Gesicht von Deinen Küßen abkühlen laßen, aber so bin ich mit Röschen ganz allein in der melankolischen Morgendämmerung, höre das halblaute Gezwitscher der aufwachenden Vögel und grüße Deine lieben großen geschloßnen Augen mit dem feurigsten Kuß eines guten Morgens in meinen Gedanken. –

Wache doch auf, Herzens-Junge! – Wache auf! – – Deine Nina ruft Dir! – Faullenzer, wie gut Dir der Schlaf schmekt, wie Du Dich wieder herumdrehst, und nicht ahnden willst meine Küße. Ha! – Eigennüzziger, das thust Du mit Fleiß, damit ich wakker drauf los küßen soll, und Du Deinen Vortheil dabey findest.

Aber warte, jezt will ich Dich anfangen zu kneipen, bis Du aufwachst. – Wenn ich nicht schlafen soll, darfst Du[95] auch nicht schlafen, wenn mich die Mükken beißen, sollst Du Dich auch beißen laßen, wenn ich küßen und schäkkern will, so sollst Du auch mit mir küßen und schäkkern, oder Du bekömmst Schläge, ja ... ja, Schläge, ich bin heute stark genug dazu, denn meine Glieder ruhten ja aus. – –

Müßte ich heute nicht ausgehen, ich legte mich am hellen Tage schlafen, und schliefe bis Du kämst und mich durch Küße aufwektest. Sey nicht böse über diesen kindischen Brief, Du kennst ja meine Launen, äußerst munter, oder äußerst traurig! – Vergiß Dein gutes Weibchen nicht. – –

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 93-96.
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