LXVI. Brief

[113] Rosenthal den 23ten Oktober.


Theuerster Gatte! – Zwei Briefe erhielt ich gestern, und zwei heute. – Wie kömmt es, daß Du den Sonntag vorbeistreichen ließest, ohne an mich zu schreiben? – Jesus Maria! – dachte ich mir, was ist das? – – Was ist meinem Gatten zugestoßen? – Entsezzen überfiel mich, bis ich aus Deinem lieben Briefe wieder Herzens-Trost einsog. – Ich würde mich über diese Kleinigkeit nicht beunruhigt haben, wenn ich Dein Feuer, Deine Thätigkeit nicht kännte. Gesezt Du könntest Mittwochs nicht kommen und auch keine Briefe – Gott im Himmel, ich würde verzagen. – –

Der morgende Tag und die heutige Nacht werden für mich schröklich seyn, weil ich diesen Tag mit wollüstiger Wehmuth an Deinem Busen zu verträumen hoffte. – – –

Nun will ich versuchen, einige Stellen Deines Briefs zu beantworten. – – Ist es möglich, Schark war bei Dir? – O ich bewundere Deine Stärke und verehre Deine Liebe, die aus Klugheit selbst Schimpfworte über mich zu ertragen wußte. – Denke Dir einmal mich Arme in die Klauen dieses Menschen, wenn er mich entdekte? – – O dann hätte ich ausgelebt! – Besonders, wenn die alte habsüchtige Baase mitkäme um mich aufzusuchen; so etwas wolle der Himmel verhüten! –[113]

Ich habe meinen Plan schon entworfen. – Ich sizze den ganzen Tag im verschloßenen Nebenzimmer, und sobald ich Scharks Stimme höre, dann wage ich den mir vorgesezten Sprung aus dem Fenster in Garten; springe ich glüklich, so ist es gut für Dich und mich, versteht sich, wenn Du zu meinem Schuz nicht bei der Hand seyn solltest. – Anders wüßte ich mich nicht zu retten, denn was ist ein schwaches Geschöpf gegen einen Rasenden? – Hier im Hause sind indessen die besten Maasregeln getroffen, wenn Du kömmst, so magst Du es noch vorsichtiger einrichten. – Für Deine übrige Sorgfalt tausend Dank! Meine Liebe sey Dein Lohn, kannst Du mehr fordern, da ich doch außer Dir so arm bin? – Mein Röschen ist sehr gebeugt, die Stille will ihr nicht behagen, ich kann es ihr nicht verdenken, man muß so wie ich lieben, um den ärgsten Kerker erträglich zu finden. – Das Mädchen kann gar nicht begreifen, wie man aus Liebe einen solchen Aufenthalt, von aller Menschheit entfernt, wählen kann? – Die Eiskalte hat wohl nie keinen Friz gekannt! – Dein Bildniß hängt an meinem Bette, es ist bald völlig abgenüzt, von lauter Küßen.

Uebrigens segne ich meinen Aufenthalt, so schröklich er auch immer ist, wärst Du bei mir, dann willkommen die erste beste Hütte. Mein Mädchen sagt zwar immer, um einen König würde sie sich keinen solchen Aufenthalt wählen, aber sie hat gut schwäzzen, sie weis ja nicht, wie sehr ich Dich liebe. –

Engel unter den Menschen, laß mich in Deinen Schuz werfen; nie werde ich Deinen Zorn verdienen, aber vielleicht Dein Mitleid, Deine Nachsicht, Deine Sanftmuth, Deine Führung. – Und wenn ich dann je einen Werth besizze, so sey er Dein und werde durch Dich vollkommen, durch Dich erhöht, durch Dich zum wahren Werth. – Kannst Du von einem Weibe mehr fordern, der Du immer so viel Stolz vorrüktest. – – –[114]

Du warst seither einmal bei der M... es freut mich, wenn sie mir gut ist, o wie wollte ich das Mädchen dafür herzen und küßen, wenn sie Dir Deine Leiden tragen hälfe! – Sey aber behutsam, Du weist, unsere Lage erfordert es. – Besuche immer zuweilen eine meiner Freundinnen, und heitere Dich auf, lieber Friz, Deine Nina bittet Dich darum aus ihrer Einsamkeit. – Ich will es gerne glauben, daß Dich alles an mich erinnert, Deine Liebe ist ja so unermüdet, daß Dich jeder Gegenstand zur Vergleichung anruft. – O Du sagst mir mehr von Deiner Liebe, als mir ein ganzer Himmel voll Engel versichern könnten. – Und doch bin ich unersättlich von Deiner Liebe reden zu hören, und doch bin ich noch etwas weniges furchtsam, weil ich mir in der weiten Schöpfung kein solches Ideal träumte. – Es ist mir so neu, so fremd, so entzükkend, ich könnte den erwürgen, der mir die Wahrheit davon abstreiten wollte. – O gesegnet sey mir Deine Liebe, gesegnet, wie am ersten Tag ihrer Entstehung. – Sag, Theurer, wie könntest Du je eifersüchtig seyn? – Du kennst ja das Innerste meines Herzens, alles ist Dein, meine Schwachheiten und Tugenden, meine Fehler und Vorzüge, verstoße dieses Herz nie, oder ... Mein Gott! – Zu was mich meine Schwermuth wieder verleitet! – Aber denke Dir auch einen Ort, wo man den ganzen Tag keinen menschlichen Laut hört, denke Dir Dein Weibchen in ihrem Kämmerchen verschloßen, wie sie da sizt und die Stunden Deiner Ankunft zählt, wie Liebe, Kummer, Furcht und Sehnsucht an Ihrem Herzen nagen, denke Dir alle diese Beweggründe und wundere Dich nicht mehr über meine Schwermuth. – Heute hörte ich ein Pferd daher traben, da sprang ich zum Fenster und ... es war nur ein Bauer. – Röschen erschrak, die Täuschung drohte mir eine Ohnmacht. Nein, so rasch darf ich in Zukunft nicht mehr seyn, sonst[115] schade ich meiner Gesundheit. – Lebe wohl liebster Gatte, komm bald in die Arme Deiner Nina. –


Phantasie einer fühlenden Gattinn, von Nina

Mit gepreßtem Herzen, mit ängstlich kämpfendem Busen, mit einer Thräne im Auge saß ich einst schwermüthig an meinem Schreibpult. – Alles um mich herum war feierlich stille, kein Menschenlaut ließ sich hören, nur Sehnsucht und Andenken an Dich, Einziger, schwellten mein Herz. – Ich träumte mich wonnetaumelnd an Deinen Busen hin. – Leiden, die vielleicht noch kein weibliches Herz empfunden, tobten in meiner Seele! – – Trennung! – Ha! – Dies gräßliche Wort erschütterte mich durch und durch! – Wo bist Du jezt Sohn der Liebe? – rief ich laut ... Wo bist Du jezt? – – Komm, o komm doch wieder einmal in meine Arme! – Gott! – Welche Seligkeit wäre der meinigen gleich, wenn ich Dich jezt nur eine Minute an dies klopfende Herz drükken könnte! –

Theure, edle, gute Seele, wenn Du wüßtest, wie unausstehlich mir Deine Abwesenheit, wie jeder Gedanke mir verhaßt ist, der mich nicht an Dich erinnert, wenn Du sehen könntest, die Thränen, die um Dich fließen, den Gram, der Dir geopfert wird, die Qualen, die ich anbete, Ha! – Du würdest eilen, Du würdest laufen, um durch einen feurigen Kuß alles zu heilen, was mich jezt so unbarmherzig martert! – Gerechter Gott! – Was bin ich für eine Träumerinn, als ob es blos bei Dir stünde, als ob Du kommen könntest, als ob Dich nicht das Schiksal davon abhielte. – Nun so laß mich denn weinen, laut weinen über Deine Entfernung! – O willkommen ihr süßen Zeugen meiner Wehmuth, willkommen ihr Thränen der gekränkten[116] Liebe, fließt immer fort, ihr seyd mir gesegnet, denn ihr fließt um den Beßten unter den Menschen, um einen Jüngling, deßen Werth in der großen Schöpfung für mich nicht mehr zu finden ist, – und wenn alle Königs-Söhne zu meinen Füßen lägen. – –

O der holde, der liebevolle Junge, was seine sanfte Art in der Liebe entzükken kann! Wie sein Feuer, seine glühende Schwärmerei sich in's weibliche Herz schleicht! – Wie er mich hinzuzaubern wußte in die größte Glükseligkeit durch seine Liebe! – Wie er so lange küßte, bis ich hinsinken mußte an sein laut pochendes Herz! – Und das alles jezt nicht mehr? – Nicht mehr für mich Arme? – O Schöpfung! O Menschheit! O Natur! – Ihr seyd schön, aber für mich nicht mehr, einst liebte ich euch an der Seite meines Frizzen, einst fühlte ich für euch in den Armen meines Gatten, aber jezt ... O mein Gott! – Jezt bin ich allein, bin entfernt von ihm, und liebe nichts weiter, als dich schwarzer Gram, du wirst mich bald hinraffen in eine Welt, wo Ruhe meiner wartet! –

Laßt mich doch ihr Menschen, ihr Stöhrer meiner Liebe, laßt mich hinsizzen und staunen über mein hartes Schiksal! – Ha! – Es drükt, es drükt fürchterlich auf meiner Brust! – Der Wunsch Dich zu sehen, mein Gatte, läßt sich nicht mehr zurückweisen, ich will, ich muß Dich haben, ich muß, ich muß Dich aufsuchen!!! – Halt! – Wer klopft? – – Allmächtiger Gott, meine Ahndung ist erfüllt, er ists!!! –

Du süßer Liebling meiner Freuden, erstikke mich nicht mit Deinen Küßen! – Sey gelaßen, sieh, wie meine Kniee zittern! – Diese Ueberraschung, und das gerade in den Augenblikken meiner größten Leiden... Schwärmer halt ein! – Du erdrükst mich! – Sprachlos war während seiner Unterredung meine Zunge, wallend mein Blut, naß meine Augen. Wem dieser Zustand begreiflich ist... Der fühle mir nach!!! –[117]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 113-118.
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