LXXVII. Brief

[158] Rosenthal, den 13ten November.


Theurer, äußerst geliebter Gatte! – Das war doch heute ein sehr wunderlicher Tag! – Bis zehn Uhr hatte ich[158] noch mit Pakken zu thun, dann kam eine Schäse mit fünf Mannspersonen gefahren, ich erschrak, denn es waren lauter Leute aus B...; nun hieß es im Zimmer sizzen bleiben, und doch wäre ich gerne mit Röschen ausgegangen, wenn wir uns unvermerkt aus unserm Kämmerchen hätten schleichen können. Gerade heute, den lezten Tag meines Aufenthalts, mußten diese Stadtflüchtlinge diese Einöde besuchen. – Mir wurde etwas bange, denn die Stuzzer sumsten um die Thüre herum, als ob sie Verräther abgeben wollten. – Endlich schlichen wir uns ungesehen fortund kreuzten bis gegen Abend alle Berge und Wiesen in der Nachbarschaft durch. –

Als wir zu Hause kamen, sagte uns die Wirthinn, daß die Fremden bis gegen sechs Uhr auf unsere Rükkunft gewartet hätten, und doch gelang es ihnen nicht, ihre Neugierde zu befriedigen. – Morgen gehe ich nach H... und erst übermorgen frühe fahre ich weg. – – Ich bin müde, ich muß zu Bette, tausend Küße von Deiner lieben

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 158-159.
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