LXXVI. Brief

[155] Rosenthal, den 12ten November.


Theuerster Gatte! – So hast Du mich endlich beredt, daß ich mich noch weiter von Dir entferne. – Ich soll also weg von Deinem liebevollen, lautklopfenden Busen? – Weg von allen Seligkeiten der unbegreiflichsten Wollust, die ich bei dieser kleinen Entfernung doch zuweilen an Deiner Seite genoß! – –

O daß ich zurükkehren dürfte von meinem Entschluß! – O daß Deine Familie versöhnt und Schark entfernt wäre! – O daß ich wieder in Deine Arme stürzen dürfte, mein lieber Friz, wie gestern Abend! –

Lieber, feuriger Flüchtling, wie hast Du mich erschrökt, als Du so unvermuthet in mein Kämmerchen eindrangst. – Drei himmlische Stunden lag ich wieder in Deinen Armen, und dann ... und dann – Ha, Schiksal! warum entrißest Du mir ihn wieder? – – Verzeihe, beßter Gatte, daß ich Dich beim Abschiede durch mein lautes Geschrei wieder so schröklich beugte. – Bei dem Allgewaltigen, bei Deiner reinsten Gatten-Liebe, vergieb dem schwachen Weibe, die in Dir eine Welt, eine Seligkeit vermißt. – Möchten Dich die Engel der Liebe ohne Schaden in Dein Zimmer zurükgebracht[155] haben, möchtest Du dort das Bild Deines entfernten Weibes anstaunen und ihm eine Thräne des Dankes verweinen, für ihre bange Liebe! – Gott, erst in einigen Tagen erfahre ich Deine Zuhausekunft, und erst in zween Tagen kann ich von hier abreisen. – – Der Dir bekannte Post-Sekretär in H... both mir alle Dienste an, er wird mir nach F... ein Empfehlungs-Schreiben mitgeben. Gewiß Friz, es giebt in der Welt auch noch absichtslose Menschenfreunde, Du weist, daß ich den Mann erst seit einigen Tagen kenne. –

Seine Gutherzigkeit rührte mich in meiner Lage recht sehr, der Mann denkt teutsch und bieder, aber ist nichts weniger als ein aufgeklärter Kopf. Ehe er meine Verfaßung wußte, fieng er mir an einige drolligte Schmeicheleien vorzusagen, worüber Röschen laut lachte. – »O wenn Sie Wittwe wären! (fuhr er fort) wahrhaftig Ihr Humor gefällt mir so ausnehmend.« (Da wollte er vermuthlich von meinem Bischen Verstand sprechen, und wußte sich nicht auszudrükken.) – Eilig zog ich dann Dein Bildniß aus meinem Busen, und küßte und herzte es vor seinen Augen so derbe, daß der gute Mann vor Staunen fast außer sich gerieth. – »Wahrhaftig (fieng er wieder an) so ein Frauenzimmer habe ich mein Lebtag noch nicht angetroffen, die ihren Gatten so leidenschaftlch liebt. – Heute habe ich es aber gleich gedacht, unsere schöne Einsiedlerinn muß gewiß Besuche haben, weil kein Brief an Sie kam, denn Ihr Herr Liebster schreibt ja alle Posttage so richtig, wie eine Uhr. – Und ich gestehe es, die Neugierde trieb mich eine Stunde Wegs in dieses Thal, um Sie doch endlich auch einmal kennen zu lernen. Es thut mir weis Gott sehr leid, daß Sie so geschwinde fortreisen wollen; die Wirthin und die Bauern lieben Sie ja außerordentlich.«

Er würde fortgeplaudert haben, wenn ich ihn nicht wegen einigen Reise-Anstalten unterbrochen hätte. – Friz,[156] danke ihm doch in einem Briefe, willst Du? – – Für heute Millionen Küße von Deiner ewig treuen Gattinn ......

Nina.


Frühe um 6. Uhr.


Endlich wieder einmal eine Nacht gut geruhet! – Und Du Herzens-Gatte, auch Du? – Möchte ich doch morgen noch vor meiner Abreise Nachricht von Dir erhalten, aber es ist umsonst, es kann nicht seyn, weil Du die Verlängerung meines hiesigen Aufenthalts nicht weist, und ich Dich bat, mir geradezu nach F... zu schreiben. –

O bis Freitag früh ist es eine lange martervolle Ewigkeit! Daß doch der dumme Postwagen nicht eher kömmt und ich auf ihn warten muß! – Noch heute gehe ich mit Röschen nach H... und gebe dorten diesen Brief auf die Post, eh ich abreise, Du sollst gewiß nicht umsonst auf Briefe warten. – Aber nicht wahr Liebchen, Du schreibst doch recht geschwinde nach F...? – – – Denke Dir Dein liebes Weib allein ohne Gatte in einer fremden Stadt, mit einer kummervollen Seele im Busen, wie sie gebeugt daherwandelt und sich nach Erlösung sehnt. Gewiß ein fremdes Weib ist ein verlaßnes Wesen! – Hat sie Geld, so muß sie es den geizigen Wirthen zuwerfen, hat sie keines, so wird sie das Opfer ihrer Grausamkeit und der Gegenstand der Verfolgung für Wollüstlinge. –

Gott, was ist ein Weib ohne ihren Gatten für Gefahren ausgesezt! – Trift dieses Loos eine Fühlende, dann empfindet sie die Last ihres Elendes doppelt. An der Seite eines Gatten kann man der Noth, dem Vorurtheil, der Verläumdung und der Mißhandlung des eigennüzzigen Pöbels trozzen, aber allein fällt der Troz auf sie zurük, sie muß sich unterdrükken laßen, das Laster merkt es recht gut, daß es mit einem[157] schwächern Theile zu thun hat. Ich bin ohnehin so schamhaft, so verzagt, so blöde, daß der Pöbel erst recht Muth bekömmt, mich mit Füßen zu stoßen, wenn ich seine Dienste brauchte und sie zum Unglük nicht bezahlen könnte. Kann man etwas barbarischers finden, als des Pöbels Eigennuz? – Wegen ihm wird der Pöbel zum Mörder an seinem Nebenmenschen, mordet er ihn nicht gewaltthätig und geschwind, so mordet er ihn langsam durch seine Zügellosigkeit! – Laß mich, lieber Friz, nie solchen Auftritten ausgesezt seyn, bemühe Dich, mich bald zu erlösen. –

An Deiner Seite, mein Gatte, nur Bauern-Kost, und himmlisch sollte sie mir schmekken! – O wie wollte ich Gott danken, für das theure Geschenk meines Frizzen. Weist Du noch Lieber, wie willig, wie liebetrunken ich Dir jeden Wink im häußlichen Leben befriedigte? – Wie Du mir meine Gutherzigkeit dann wieder mit einem Kuß lohntest, und wie Du dann wieder nachdachtest über Deine Nina, die Dir Alles, Alles that, was Dein Herz nur fordern konnte. Wenn Du Dir auf dieser Welt einen Himmel denken willst, so denke Dir solche Auftritte aus unserm häußlichen Leben. –

Und nun, theuerster Gatte, Millionen Küße von Deinem Weibchen im Kaput mit dem blauen Bändchen am Halse, waran Dein Bildniß hängt. – Weist Du, wie gut es mir steht? – – Deine beßte, aufrichtigste, treueste

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 155-158.
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